07 - Asche zu Asche
schmecken.
Er spürte ihre Finger an seinem Hemd. Sie löste seine Schleife und ließ ihre Hände zu seiner Brust gleiten. Er murmelte an ihrem Mund: »Helen, ich dachte, du wolltest essen gehen.«
»Tommy, ich dachte, ich soll mich anziehen.«
»Ja. Richtig. Aber alles schön der Reihe nach.« Er fegte die Kleider zu Boden und zog sie zum Bett. Seine Hand wanderte ihren Schenkel hinauf.
Das Telefon läutete.
»Verdammt«, brummte er.
»Laß es läuten. Ich erwarte keinen Anruf. Der Beantworter ist eingeschaltet.«
»Ich habe dieses Wochenende Bereitschaft.«
»Das darf nicht wahr sein!«
»Tut mir leid.«
Sie starrten beide das Telefon an. Es läutete weiter.
»Tja«, sagte Helen. »Wissen die beim Yard, daß du hier bist?«
»Denton weiß, wo ich bin. Er wird es ihnen gesagt haben.«
»Aber wir könnten schon gegangen sein.«
»Sie haben die Nummer des Autotelefons und die Nummern unserer Plätze im Konzert.«
»Ach, vielleicht ist es ja gar nichts. Wahrscheinlich ist es bloß meine Mutter.«
»Vielleicht sollten wir doch rangehen.«
»Vielleicht.« Sie legte die Finger an sein Gesicht und ließ sie sanft von seiner Wange zu seinen Lippen gleiten. Ihr Mund öffnete sich leicht.
Er holte Atem und spürte ein seltsames Brennen in der Lunge. Ihre Finger wanderten von seinem Gesicht zu seinem Haar. Das Telefon hörte auf zu läuten. Gleich darauf schallte aus dem Nebenzimmer eine Stimme herüber, eine nur allzu bekannte Stimme. Sie gehörte Dorothea Harriman, der Sekretärin von Lynleys Chef. Wenn sie sich die Mühe machte, ihn zu suchen, ließ das aufs Schlimmste schließen. Lynley seufzte. Helen ließ die Hände sinken.
»Tut mir leid, Darling«, sagte er und griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Er unterbrach Harriman mitten im Satz: »Ja. Hallo, Dee. Ich bin's.«
»Inspector Lynley?«
»Erraten.«
Während er telefonierte, streckte er von neuem den Arm nach Helen aus. Doch sie entfernte sich schon von ihm, glitt aus dem Bett und bückte sich, um den Morgenmantel aufzuheben, der in einem kleinen Häufchen auf dem Boden lag.
3
Nach drei Wochen frischen häuslichen Glücks sagte sich Sergeant Barbara Havers, daß ihr an dem einsamen Leben in Chalk Farm wenigstens die Auswahl an grauenvollen Verkehrsverbindungen, die es parat hielt, ein Trost war. Wenn sie nicht über die tiefere Bedeutung der Tatsache nachdenken wollte, daß sie seit einundzwanzig Tagen mit keiner Menschenseele in ihrer Nachbarschaft außer einem Mädchen aus Sri Lanka, das im Lebensmittelgeschäft an der Kasse saß, ein Wort gewechselt hatte, brauchte sie sich nur auf das zweifelhafte Vergnügen ihrer täglichen Fahrten zum New Scotland Yard und zurück zu konzentrieren.
Schon lange, ehe sie es erworben hatte, war das kleine Häuschen für Barbara ein Symbol gewesen. Es bedeutete die Befreiung aus einem Leben, das jahrelang von Kindespflichten und der Versorgung kranker Eltern bestimmt gewesen war. Aber wenn auch die häusliche Veränderung ihr die persönliche Freiheit brachte, die sie sich erträumt hatte, so ging doch mit dieser Freiheit auch eine Einsamkeit einher, die sie gerade dann bedrückend überfiel, wenn sie am wenigsten darauf vorbereitet war, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund hatte Barbara die Entdeckung mit ausgesprochenem, wenn auch grimmigem Vergnügen aufgenommen, daß es zwei Möglichkeiten für sie gab, morgens an ihren Arbeitsplatz zu gelangen, die beide reichlich Gelegenheit zu Zähneknirschen, Wutschnauben und - das war das Beste - Verdrängung von Einsamkeitsgefühlen boten.
Sie konnte entweder in ihrem bejahrten Mini gegen den Verkehr antreten und sich die Camden High Street zum Mornington Crescent hinunterkämpfen, um dort unter mindestens drei verschiedenen Routen zu wählen, die sich ausnahmslos durch heillos verstopfte Straßen quälten; oder sie konnte die Untergrundbahn nehmen, und das hieß, sich in die Tiefen des Bahnhofs Chalk Farm hinunterzubegeben und gemeinsam mit den treuen, aber verständlicherweise aufs äußerste genervten Fahrgästen der unberechenbaren Northern Line schüchtern hoffend auf einen Zug zu warten. Und selbst dann konnte sie nicht jeden nehmen, der kam, sondern nur einen, der über den Bahnhof Embankment fuhr, wo sie wiederum in eine andere Linie zum St. James' Park umsteigen mußte.
Kurz gesagt, Barbara konnte jeden Morgen von neuem zwischen zwei Übeln wählen. An diesem Tag hatte sie sich wegen der immer bedrohlicher klingenden Schepper- und
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