Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Klappergeräusche ihres Autos für die Untergrundbahn entschieden und schwebte nun im Getümmel zahlloser Leidensgenossen auf Rolltreppen hoch und nieder, stapfte durch Tunnels, stand sich auf Bahnsteigen die Beine in den Bauch und klammerte sich verbissen an eine Metallstange, während der Zug torkelnd durch die Finsternis raste und seine Fahrgäste hin und her warf.
    Sie ertrug all diese Irritationen mit Resignation. Wieder so eine Höllenfahrt. Wieder eine willkommene Gelegenheit, sich zu beteuern, daß die ganze Abgeschiedenheit eigentlich bedeutungslos war, weil man am Ende des Tages sowieso keine Zeit und keine Kraft zum gesellschaftlichen Umgang mit anderen Menschen mehr hatte.
    Es war halb acht Uhr abends, als sie ihren mühsamen Marsch die Chalk Farm Road hinauf begann. Sie hielt bei Jaffri 's Fine Groceries an, dem Lebensmittelgeschäft, das mit »Leckerbissen für den Feinschmeckergaumen« so vollgestopft war, daß es im Laden eng und düster war wie in einem viktorianischen Eisenbahnwaggon. Dort zwängte sie sich an einem schwankenden Turm aus Suppendosen vorbei - Mr. Jaffri schwor auf »schmackhafte Suppen aus allen vier Himmelsrichtungen« - und kämpfte mit der Glastür zum Gefrierschrank, über dem ein Schild behauptete, in den mehrstöckig aufgereihten Häagen-Dazs-Eisbechern seien »sämtliche Geschmacksnuancen unter der Sonne« zu finden. Aber sie wollte gar kein Häagen-Dazs, obwohl eine Mandel-Vanille-Eiscreme als Nachtisch zu einem Abendessen aus Pommes mit Salz und Essig gar nicht übel klang. Sie wollte vielmehr den einzigen Artikel, den Mr. Jaffri aus rein kommerziellen Erwägungen ins Angebot genommen hatte, da er überzeugt war, die allmähliche Veredelung des Viertels mit den unweigerlich nachfolgenden Partys würde zu starker Nachfrage führen. Sie wollte Eis. Mr. Jaffri verkaufte es in Säcken, und seit Barbara in ihre neue Behausung eingezogen war, bewahrte sie leicht Verderbliches in einem Metalleimer unter der Küchenspüle auf.
    Sie wühlte einen Sack aus dem Gefrierschrank und schleppte ihn zur Kasse, wo Bhimani saß und auf die nächste Gelegenheit wartete, in die Tasten der neuen Registrierkasse zu hauen, die nicht nur mit den Tönen des Big Ben aufwartete, wenn die Endsumme im Display erschien, sondern außerdem in leuchtendblauen Ziffern mitteilte, wieviel genau die Kassiererin dem Kunden herausgeben mußte. Wie immer ging die Transaktion schweigend vor sich. Bhimani tippte den Preis ein, lächelte mit geschlossenen Lippen und nickte eifrig, als die Summe im Display erschien.
    Sie sprach nie ein Wort. Anfangs hatte Barbara geglaubt, sie sei stumm. Aber eines Abends hatte sie das Mädchen beim Gähnen ertappt und das Gold blitzen sehen, mit dem die meisten ihrer Zähne überkront waren. Seitdem fragte sie sich, ob Bhimani wohl nicht lächelte, weil sie den Wert ihrer Kronen verbergen wollte oder weil sie nach ihrer Ankunft in England und nach Beobachtung des einheimischen Durchschnittsmenschen erkannt hatte, wie ungewöhnlich diese Art der Zahnsanierung war, und sie darum nicht zeigen wollte.
    Nachdem Bhimani ihr 75 Pence Wechselgeld hingelegt hatte, sagte Barbara: »Danke. Wiedersehen« und nahm ihr Eis. Sie zog den Riemen ihrer Schultertasche hoch, klemmte sich den Beutel mit dem Eis auf die Hüfte und ging.
    Als sie am Pub auf der anderen Straßenseite vorüberkam, spielte sie flüchtig mit dem Gedanken, sich samt ihrem Eis in das Getümmel an der Theke zu stürzen. Die Leute schienen zwar mindestens zehn Jahre jünger zu sein als sie, was ziemlich deprimierend war, aber sie hatte ihr allwöchentliches Glas Bass noch nicht getrunken und hatte solche Lust darauf, daß sie ernsthaft darüber nachdachte, wieviel Energie es sie kosten würde, sich an den Tresen vorzuarbeiten, das Bier zu bestellen, eine Zigarette anzuzünden und sich gesellig zu geben. Das Eis eignete sich ganz gut als Anknüpfungspunkt für ein Gespräch. Und wieviel davon würde schmelzen, wenn sie sich eine Viertelstunde gönnte, um sich unter die arbeitende Bevölkerung zu mischen, die am Freitagabend bei einem Glas Bier Entspannung suchte? Wer wußte denn, was vielleicht dabei herauskam? Vielleicht würde sie eine Bekanntschaft machen. Eine Freundschaft anbahnen. Und selbst wenn nicht, sie fühlte sich so ausgedörrt wie ein Wüstenwanderer. Sie brauchte etwas Flüssiges. Und einen Stimmungsaufheller konnte sie auch vertragen. Sie war müde von dem langen Tag, durstig von ihrem Marsch und verschwitzt von der

Weitere Kostenlose Bücher