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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Anwalt mit ihm oder miteinander hatten sprechen können.
    »Was ist passiert?« hatte Jean gefragt. »Was haben sie ihm getan?«
    Friskin hatte nur grimmig erwidert: »Wir spielen im Moment Polizeispielchen. Das ist ganz normal.«
    »Was für Spielchen?« fragte sie. »Was ist denn passiert? Wie meinen Sie das?«
    »Sie werden versuchen, uns mürbe zu machen«, erklärte er.
    »Und wir werden versuchen, unsere Position zu halten.«
    Mehr wollte er nicht sagen, weil sich in diesem Moment schon die Journalistenmeute auf sie stürzte. »Sie werden sich Jim noch einmal vorknöpfen«, murmelte er. »Nein, nicht die Medien«, erläuterte er, als er sah, wie ihr Blick zu den näher kommenden Journalisten flog. »Die sind natürlich auch hinter ihm her, aber ich meinte die Polizei.«
    »Was hat er gesagt?« fragte sie und spürte, wie ihr im Nacken der Schweiß ausbrach. »Was hat er ihnen gesagt?«
    »Nicht jetzt.« Friskin sprang in seinen Wagen und ließ den Motor an. Aufheulend brauste der Wagen davon, und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich durch das Getümmel zu ihrem Cavalier durchzukämpfen. Sie öffnete den Wagen, stieg ein und verriegelte die Tür. Die Kameras zeichneten jede ihrer Bewegungen auf, doch die Bilder würden kein Wort, keinen Blick als Antwort auf die gestellten Fragen übermitteln, und keine Reaktion auf den Rummel um einen Jungen, der über den Mord an seinem Vater verhört wurde.
    Und immer noch wußte sie darüber, was er der Polizei gesagt hatte, so wenig wie nach ihrem Gespräch in der Küche am vergangenen Abend.
    Mehr als alles andere hast du dir gewünscht, er wäre tot, Mam. Das wissen wir doch beide, oder?
    Noch lange nachdem er gegangen war, während sie vor seiner unberührten Suppe saß, auf der sich langsam eine Haut bildete, gingen ihr unaufhörlich seine Worte im Kopf herum. Sie tat alles, um sie zu vertreiben, aber es gelang ihr nicht. Weder indem sie betete noch indem sie das Bild ihres Mannes, der Gesichter ihrer Kinder, die Erinnerung an ihre einst heile Familie heraufbeschwor, konnte sie das Echo von Jimmys Worten, den verschwörerischen, hinterhältigen Tonfall, in dem er sie gesprochen hatte, zum Verstummen bringen, und auch nicht die Entgegnungen, die ihr augenblicklich in den Sinn kamen und so voller Widersprüche waren.
    Nein. Ich habe mir nicht gewünscht, er wäre tot, Jimmy. Ich habe mir gewünscht, ihn den Rest meines Lebens an meiner Seite zu haben. Ich wollte sein Lachen hören, den Hauch seines Atems an meiner Schulter spüren, wenn er neben mir schlief, seine Hand auf meinem Oberschenkel fühlen, wenn wir abends über den vergangenen Tag sprachen, ihn vor mir sehen, wenn er knisternd eine Zeitung aufschlug und sich wie ausgehungert auf einen Artikel stürzte. Ich wollte seine Haut riechen, seine Stimme hören, wenn er rief: »Los, Jimmy, wirf den Ball. Komm, komm, du mußt wie ein Werfer denken, Junge!« Ich wollte seine Berührung fühlen, wenn er mir in den Nacken faßte, wie er das früher immer tat, wenn er abends aus der Druckerei nach Hause kam. Ich wollte ihn sehen, wie er mit Stan auf seinen Schultern und Shar an seiner Seite auf Vogeljagd am Meer entlanglief, während der Feldstecher zwischen den dreien von Hand zu Hand ging. Ich wollte ihn schmecken, seinen unverfälschten Geschmack, der nur ihm vorbehalten war. Ich habe ihn begehrt, Tim. Und wenn man einen Menschen auf diese Weise begehrt und bei sich haben möchten, dann wünscht man sich ihn lebendig, nicht tot.
    Aber sie war da. Sah, was ich sah. Nahm sich, was mir gehörte. Sie stand zwischen uns und unserem Leben, wie es hätte sein sollten - mit Kenny, der abends nach Hause kam; der morgens im Bad wie eine Hyäne sang; der vor dem Zubettgehen Schuhe, Socken und Hose einfach auf einen Haufen schmiß; der zu mir ins Bett kam und mich zu sich herumdrehte und mich an sich drückte. Solange sie zwischen mir und Kenny stand, zwischen Kenny und seiner Familie, zwischen Kenny und unserem Leben, wie es hätte sein sollen, so lange gab es keine Hoffnung, Jim. Und solange sie diesen Platz einnahm, wünschte ich, er wäre tot. Denn wenn er tot gewesen wäre - wirklich und wahrhaftig tot -, hätte ich nie wieder an ihn und sie denken müssen.
    Wie kann ich ihm das sagen, fragte sie sich. Ihr Sohn wollte klare Antworten; ja, ja, nein, nein. Nur sie machten das Leben begreifbar. Sie entwirrten es. Ihm jedoch dies alles sagen, hieße, von ihm zu verlangen, daß er einen Sprung ins Erwachsensein vollbrachte,

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