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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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und Stummel in der Küche in den Mülleimer. Sie nahm Häubchen und Schürze ab, legte das Häubchen auf den Küchentisch und hängte die Schürze über einen der Stühle, wo sie sie sorgfältig in Falten legte und glättete, als hätte sie die Absicht, sie am folgenden Tag wieder zu tragen.
    Eine ganze Reihe von »Ich hätte müssen« sammelte sich in ihrem Kopf, und jedes einzelne schrie ihr zu, wie anders alles hätte sein können, wenn sie nur klug genug gewesen wäre, anders zu handeln. Das aufdringlichste und lauteste »Ich hätte müssen« war das, welches sich auf Kenny bezog. Es war simpel genug. Seit vier Jahren hörte sie es Tag und Nacht: Sie hätte wissen müssen, was eine Frau tat, um ihren Ehemann zu halten.
    Die Wurzel allen Übels war Kennys Auszug aus dem Haus in der Cardale Street. Der Kummer hatte klein angefangen, mit dem Tod von Jimmys buntscheckigem Mischlingshund, der keine Woche nachdem Kenny seine Sachen gepackt hatte in der Manchester Road unter einen Lastwagen geraten und überfahren worden war. Aber der Kummer war gewuchert wie ein Krebs. Und wenn sie jetzt an diese Kümmernisse dachte - vom Tod Bouncers bis zu dem Feuer, das Jimmy in der Schule gelegt hatte, von Stans Bettnässen und Onanieren, zu Shars blinder Hingabe an ihre Vögel und all den Notsignalen, mit denen die Kinder ihre Aufmerksamkeit gesucht und nicht bekommen hatten, bis sie schließlich aufgegeben hatten - wenn sie an das alles dachte, dann wollte sie Kenny allein die Schuld daran geben. Denn er war schließlich der Vater. Er hatte Pflichten hier. Er hatte nichts dagegen gehabt, mit ihr zusammen diese drei Leben zu zeugen; er hatte kein Recht, sich jetzt einfach aus dem Leben dieser drei Menschen und seiner Pflicht, sie zu schützen, davonzustehlen. Aber so sehr sie sich bemühte, ihrem Mann die Schuld zu geben, das grundlegende »Ich hätte müssen« meldete sich sofort wieder zu Wort, um sie daran zu erinnern, wer die Hauptschuld trug, wer wirklich verantwortlich war. Sie hätte wissen müssen, was sie als Frau zu tun hatte, um ihren Mann zu halten. Denn wenn sie das gewußt hätte, dann wäre der ganze Kummer gar nicht erst über die Familie gekommen.
    Endlich fühlte sie sich fähig, nach oben zu gehen. Jimmys Zimmertür war geschlossen. Sie öffnete sie, ohne anzuklopfen, und schlich hinein. Jimmy lag auf seinem Bett, das Gesicht in das Kopfkissen gedrückt, als wollte er sich ersticken. Die eine Hand war in den Bettüberwurf gekrallt, mit der anderen hielt er den kurzen, stämmigen Bettpfosten umfaßt. Sein Arm zuckte, als wollte er sich hochziehen, um sich den Schädel daran einzuschlagen, und mit den Spitzen seiner Turnschuhe trommelte er wie in schnellem Lauf auf das Bett.
    »Jim«, sagte sie.
    Hände und Füße hielten inne. Jean dachte daran, was sie sagen wollte, was sie sagen mußte, aber das einzige, was sie zustande brachte, war: »Mr. Friskin hat gesagt, daß sie sicher noch einmal mit dir sprechen wollen. Morgen vielleicht, hat er gesagt. Aber vielleicht lassen sie dich auch erst eine Weile schmoren. Hat er dir das auch erklärt?«
    Sie sah, wie seine Hand am Bettpfosten sich anspannte.
    »Ich glaube, Mr. Friskin kennt sich da aus«, fuhr sie fort.
    »Meinst du nicht auch?«
    Sie ging weiter ins Zimmer hinein, hob unterwegs einen von Stans Teddybären auf und setzte ihn wieder zu den anderen auf das Bett. Dann wanderte sie weiter zu Jimmys Bett. Als sie sich auf die Kante setzte, spürte sie, wie der Körper ihres Sohnes schlagartig stocksteif wurde. Sie achtete sorgfältig darauf, ihn nicht zu berühren.
    »Er hat gesagt ...« Jean strich mit einer Hand über das Vorderteil ihres Kittels und drückte eine Falte glatt, die sich vom Taillenbund bis zum Saum zog. Sie hatte geglaubt, sie hätte diesen Kittel morgens um zwei Uhr gebügelt, als sie schließlich alle Hoffnung auf Schlaf aufgegeben hatte, aber vielleicht war das gar nicht der, den sie gebügelt hatte. Vielleicht hatte sie den einen gebügelt und den anderen angezogen. Gewundert hätte es sie nicht; sie funktionierte ja nur noch wie ein Roboter.
    »Ich war sechzehn«, sagte sie, »als du zur Welt kamst. Weißt du das, Jim? Ich hab mir eingebildet, ich wüßte alles. Ich dachte, ich könnte eine gute Mutter sein, ohne mir von irgend jemandem sagen lassen zu müssen, wie das geht. Ich war überzeugt, daß das bei Frauen angeboren ist. Ein Mädchen wird schwanger, und so, wie ihr Körper sich verändert, verändert sie sich mit. Ich wollte mir von

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