07 - Asche zu Asche
niemandem sagen lassen, wie ich mit meinem kleinen Jungen umzugehen hätte, denn ich wußte es ja am allerbesten. Ich wußte genau, was eine gute Mutter ist. Wie in der Reklame hab ich's mir vorgestellt. Ich fütterte dich mit Brei, und dein Dad steht dabei und fotografiert das Familienglück. Ich wollte schnell noch ein zweites Kind, weil ich dachte, daß es für Kinder nicht gut ist, wenn sie allein aufwachsen, und ich doch alles genauso machen wollte, wie sich das für eine gute Mutter gehört. Also kamst erst du und dann Shar. Da waren wir inzwischen achtzehn, dein Dad und ich.«
Aus dem Kissen kam ein unartikulierter Laut, der fast wie ein Wimmern klang.
»Aber in Wirklichkeit wußte ich gar nichts. Das war das Schlimme. Ich dachte, man bekommt ein Kind, man liebt es, zieht es groß, und es bekommt dann selbst wieder Kinder. Alles andere habe ich überhaupt nicht bedacht: daß man mit so einem Kind reden muß, ihm zuhören, es ausschimpfen muß, wenn es etwas Unrechtes tut, nicht die Nerven verlieren darf, wenn man es am liebsten anbrüllen und verhauen möchte, weil es etwas getan hat, was man ihm schon hundertmal verboten hat. Nein, ich dachte nur an Weihnachten und Kinderfeste, und hab mir alles ganz idyllisch vorgestellt. Ich war überzeugt, ich würde die beste Mutter der Welt werden, weil mir meine Eltern genau gezeigt hatten, wie man's nicht macht.«
Sie schob ihre Hand über das Bett und ließ sie in der Nähe seines Körpers liegen. Sie fühlte seine Wärme, obwohl sie ihn nicht berührte, und hoffte, er könne auch die ihre spüren.
»Was ich damit sagen will, Jim, ist, daß ich alles falsch gemacht hab. Ich hab mir eingebildet, ich wär so gescheit und brauchte nichts zu lernen. Ich will sagen, daß ich eine Versagerin bin, Jim. Aber ich wollte es nicht, das mußt du mir glauben.«
Sein Körper war immer noch angespannt, aber er wirkte nicht mehr ganz so steif wie zuvor. Und sie glaubte zu sehen, wie er ein klein wenig den Kopf drehte.
Sie sagte: »Mr. Friskin hat mir erzählt, was du ihnen gestanden hast. Aber er meint, sie werden noch mehr wissen wollen. Und er hat mir eine Frage gestellt. Er wollte wissen ...« Sie sah, daß es nicht leichter war als beim erstenmal, als sie es zu sagen versucht hatte. Nur gab es für sie diesmal keine andere Möglichkeit, als vorwärts zustürmen und sich auf das Schlimmste gefaßt zu machen. »Er hat gesagt, du hättest mit ihnen reden wollen, Jim. Du wolltest ihnen etwas sagen. Möchtest du - möchtest du mir nicht sagen, was es ist, Jim? Willst du mir nicht wenigstens soweit vertrauen?«
Erst zitterten seine Schultern, dann der ganze Rücken.
»Jim?«
Sein ganzer Körper bebte jetzt. Er zog am Bettpfosten. Seine Hand krallte sich in die Decke. Er trommelte mit den Fußspitzen auf das Bett.
»Jimmy!« rief Jean. »Jimmy! Jim!«
Er drehte den Kopf und schnappte nach Luft. Und da sah Jean, daß ihr Sohn lachte.
Barbara Havers legte den Telefonhörer auf, schob sich den letzten Keks in den Mund, kaute energisch und spülte mit einem großen Schluck lauwarmem Darjeeling-Tee nach. Und das nennt man nun Teepause, dachte sie. Sehr gemütlich.
Sie griff sich ihr Heft und ging zu Lynleys Büro. Aber sie traf ihn nicht an, sondern Dorothea Harriman, die gerade wieder eine Zeitung lieferte, den Evening Standard diesmal. Sie machte ein Gesicht, das an ihrer Mißbilligung und ihrem Widerwillen keinen Zweifel ließ, aber beides schien sich mehr gegen die Art der Lektüre zu richten als gegen den Auftrag, sie für Lynley zu besorgen. Sie faltete die Zeitungen, die noch auf seinem Schreibtisch ausgebreitet waren, stapelte sie auf dem Boden neben seinem Sessel und legte ihm den Evening Standard hin.
»So ein Schund«, knurrte sie mit einem entrüsteten Kopfschütteln, als blätterte sie nicht täglich begierig eben diesen Schund auf der Suche nach dem neuesten Klatsch über die königliche Familie durch. »Ich verstehe überhaupt nicht, wozu er diese Zeitungen überhaupt braucht.«
»Das hat mit dem Fall zu tun«, erklärte Barbara.
»Ach, mit dem Fall?« Dorothea Harrimans Ton verriet, wie absurd sie dieses Argument fand. »Nun, da kann ich nur hoffen, daß er weiß, was er tut, Sergeant Havers.«
Barbara ging es ebenso. Als Dorothea Harriman, Webberlys donnerndem Ruf folgend, hinauseilte, ging Barbara zu Lynleys Schreibtisch hinüber, um einen Blick in die Zeitung zu werfen. Jimmy Cooper mit hängendem Kopf, so daß das herabfallende Haar sein Gesicht
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