07 - Asche zu Asche
nicht kommen. Sie war immer noch seine Mutter. Niemand außer ihr hatte dem Jungen gegenüber irgendeine Verpflichtung.
Sie ging wieder nach unten. Shar war in der Küche und deckte den Tisch. Stan und Jim saßen immer noch vor dem Fernsehapparat. Auf dem Bildschirm ließ sich gerade ein Mann mit einer Hakennase und unrasiertem Gesicht über irgendeinen Film aus, den er soeben fertiggestellt hatte. Er redete, als hätte er einen Kloß im Mund.
»He, das ist doch ein verdammter Schwuler, stimmt's, Jim?«
Stan kicherte und schlug seinem Bruder aufs Knie.
»Du sollst nicht diese Ausdrücke gebrauchen!« mahnte Jean.
»Hilf deiner Schwester beim Tischdecken.« Sie schaltete den Fernsehapparat aus. »Komm mit«, sagte sie zu Jim und fügte, als er zurückschreckte, weicher hinzu: »Komm, Jim, Schatz. Wir gehen nur mal nach hinten raus.«
Shar war dabei, die Fischstäbchen ordentlich in Reih und Glied in eine Pfanne zu legen, und Stan schüttete gefrorene Pommes frites auf ein Backblech.
»Soll ich auch einen grünen Salat machen, Mam?« fragte Shar, als Jean die Tür zum Garten öffnete.
»Können wir gebackene Bohnen haben?« fügte Stan hinzu.
»Ihr könnt euch machen, was ihr wollt«, antwortete Jean.
»Ruft uns, wenn alles fertig ist.«
Jimmy ging voraus in den Garten. Beim Vogelbad machte er halt. Jean folgte ihm und legte ihre Zigaretten und ein Heftchen Streichhölzer auf den gesprungenen Betonrand.
»Nimm dir ruhig eine, wenn du willst«, sagte sie zu ihrem Sohn.
Er rührte die Zigaretten nicht an.
»Natürlich war's mir lieber, du würdest nicht rauchen«, fuhr sie fort. »Aber wenn du es jetzt brauchst, ist es okay. Ich wünschte, ich hätte nie damit angefangen. Vielleicht kann ich es aufgeben, wenn das alles hier vorüber ist.«
Sie sah sich in dem jämmerlichen kleinen Gärtchen um: ein demoliertes Vogelbad, ein Betonstreifen mit Beeten kümmerlicher Stiefmütterchen zu beiden Seiten.
»Es wäre doch schön, einen richtigen kleinen Garten zu haben, nicht wahr, Jim?« sagte sie. »Vielleicht können wir aus diesem Misthaufen hier etwas Hübsches machen. Wenn alles vorbei ist. Wenn wir den scheußlichen Beton rausnehmen und dafür Rasen säen und einen Baum pflanzen und dann ein paar schöne Blumen. Dann könnten wir bei gutem Wetter hier draußen sitzen. Da wär doch prima, nicht? Aber du müßtest mir bei der Arbeit helfen. Allein würde ich das sicher nicht schaffen.«
Jimmy griff in seine Hosentaschen. Er holte seine eigenen Zigaretten und Streichhölzer heraus. Er zündete sich eine an und legte die Packung und die Streichhölzer neben ihre.
Jean spürte, wie die Gier sie überfiel, als sie den Rauch roch. Aber sie griff nicht nach ihren eigenen Zigaretten, sondern sagte: »Ach, danke, Jim. Das ist nett von dir. Ja, ich rauche gern eine«, und nahm eine von seinen Zigaretten. Sie zündete sie an, hustete und sagte: »Mensch, wir sollten wirklich beide aufhören, nicht? Vielleicht schaffen wir es zusammen. Ich helfe dir, und du hilfst mir. Später, wenn das hier alles vorbei ist.«
Jimmy aschte in das leere Vogelbad.
»Ich kann Hilfe gebrauchen«, fuhr sie fort. »Du wahrscheinlich auch. Außerdem wollen wir doch nicht, daß Shar und Stan auch noch zu rauchen anfangen. Wir müssen ihnen ein Beispiel geben. Wenn wir es ernsthaft wollen, könnten wir sogar nach dieser Zigarette hier aufhören. Wir müssen an Shar und Stan denken.«
Er stieß Luft und Rauch zugleich aus: Er machte sich über ihre Worte lustig.
»Shar und Stan brauchen dich«, beharrte sie trotz seines Spotts.
Er drehte den Kopf zu der Mauer, die ihren Garten von dem der Nachbarn trennte, so daß sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber sie hörte, was er sagte. »Die haben doch dich.«
»Natürlich haben sie mich«, bestätigte Jean. »Ich bin ihre Mutter, und ich werde immer hier sein. Aber sie brauchen auch ihren älteren Bruder. Das verstehst du doch, nicht wahr? Sie brauchen dich hier, zu Hause, und jetzt mehr denn je. Du bist ihr Vorbild jetzt, wo -« Sie sah die Falle gerade noch rechtzeitig.
»Sie brauchen dich gerade jetzt ganz besonders, wo dein Vater -.«
»Ich hab gesagt, sie haben dich«, fiel Jimmy ihr kurz ins Wort.
»Sie haben ihre Mutter.«
»Aber sie brauchen auch einen Mann.«
»Onkel Derrick.«
»Onkel Derrick ist nicht du. Sicher, er hat sie gern, aber er kennt sie nicht so, wie du sie kennst, Jim. Und sie sehen nicht so zu ihm auf wie zu dir. Ein Bruder ist was anderes als ein Onkel. Ein
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