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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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darüber her. Chris lehnte sich an den Kajütenaufbau und betrachtete Livie.
    Seit Samstag morgen ließ sie sich von ihm täglich sämtliche Zeitungen bringen. Sie las jede einzelne durch, hatte ihm aber dennoch nicht erlaubt, auch nur eine wegzuwerfen. Vielmehr hatte sie ihn nach dem Besuch der Polizei am Samstag gebeten, die Zeitungen in ihr Zimmer zu tragen und neben ihrem schmalen Bett abzulegen. In den vergangenen Nächten hatte er, während er ruhelos auf den Schlaf wartete, die Lichtstreifen beobachtet, die ihre Leselampe an die offene Tür seines Zimmers warfen, und dem leisen Rascheln des Papiers gelauscht, das jedesmal entstand, wenn sie die Zeitungen, die sie nun schon zum zweiten- oder dritten Mal las, umblätterte. Er wußte, was sie las. Aber er hatte nicht gewußt, warum sie es las.
    Sie hatte länger geschwiegen, als er es für möglich gehalten hätte. Sie war eine Frau, die dazu neigte, impulsiv zu handeln und es dann zu bedauern; darum hatte er zuerst geglaubt, ihre Verschlossenheit sei lediglich Zeichen einer für sie uncharakteristischen nachdenklichen Betrachtung der Ereignisse, die sie alle durch Kenneth Flemings Tod überrascht hatte. Am Ende hatte sie ihm alles gesagt, weil sie keine Wahl gehabt hatte. Er war am Sonntag nachmittag in Kensington gewesen. Er hatte gesehen und gehört. Danach hatte er nur noch ruhig und beharrlich darauf bestehen müssen, daß sie die Last der Wahrheit mit ihm teilte. Als sie es tat, sah er sogleich, daß die Zukunftspläne, die er für sein Leben gemacht hatte, nicht mehr gültig waren. Er vermutete, daß dies der Grund war, weshalb sie ihm nichts hatte sagen wollen. Weil sie wußte, daß er, wenn sie es ihm erzählte, sie drängen würde, ihr Wissen publik zu machen. Und sie wußten beide, daß sie, wenn sie dies tat, bis zu ihrem Tod aneinander gefesselt sein würden. Keiner von beiden sprach je über diese Konsequenz ihres Handelns. Sie brauchten das Selbstverständliche nicht zu erörtern.
    Als Beans und Toast ihre Näpfe leergefressen hatten, gingen sie zu Livie. Beans legte sich neben ihr nieder, den Kopf so nahe bei ihr, daß sie ihn jederzeit streicheln konnte, sollte sie plötzlich das Verlangen danach haben. Toast ließ sich vor ihr nieder und legte seinen Kopf auf ihren Schuh mit der dicken Sohle. Livie beugte sich über die Zeitung. Chris hatte den Artikel auf der Titelseite schon gelesen, er wußte daher, daß ihr Blick an den gleichen Worten hängenbleiben würde wie zuvor der seine:
    »Der Hauptverdächtige«, »... wird in Kürze Anklage erhoben werden«, »Ein schwieriger junger Mann, der schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist«. Sie hob ihre Hand zu den Fotos und ließ sie auf das größte herabfallen, das sich in der Mitte befand, von den anderen umrahmt. Es zeigte den Jungen, der wie eine durchnäßte Vogelscheuche in den Armen seiner Mutter lag, während der tropfnasse Inspector von Scotland Yard sich über die beiden beugte. Noch während Chris Olivia beobachtete, knüllte sie das Bild zusammen. Ob die Handlung beabsichtigt war oder das Ergebnis von Muskelzuckungen, konnte er nicht sagen.
    Er ging zu ihr, legte ihr seine Hand auf die Wange und drückte ihren Kopf an seinen Oberschenkel.
    »Das heißt noch lange nicht, daß sie wirklich Anklage erheben werden«, sagte sie. »Nein, bestimmt nicht, oder, Chris?«
    »Livie!« Er sprach mit sanfter Strenge. Belüg dich nicht selbst, besagte dieser Tonfall.
    »Sie werden ihn bestimmt nicht anklagen.« Sie knüllte das Bild in ihrer Hand noch fester zusammen. »Und selbst wenn, was kann ihm denn schon groß passieren? Er ist gerade sechzehn geworden. Was tun sie mit Sechzehnjährigen, die gegen das Gesetz verstoßen?«
    »Darum geht es doch gar nicht, nicht wahr?«
    »Sie schicken sie in die Besserungsanstalt oder ins Erziehungsheim oder so. Sie zwingen sie, zur Schule zu gehen. In der Schule lernen sie was. Sie können ihre Prüfung ablegen. Oder eine Lehre machen. In der Zeitung steht, daß er dauernd die Schule geschwänzt hat, da wäre es doch nur gut für ihn, wenn ihn endlich jemand zwingt, hinzugehen ...«
    Chris machte sich gar nicht die Mühe, zu widersprechen. Livie war schließlich nicht dumm. Sie würde selbst sehen, daß all ihre Argumente auf Sand gebaut waren, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.
    Sie ließ die Zeitung sinken und drückte ihren rechten Arm auf den Magen, als habe sie Schmerzen. Langsam hob sie den linken Arm und schlang ihn um Chris' Bein, um sich

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