07 - Asche zu Asche
verlieren. Sie versuchte sich als Mutter des Jahres. Aber ihr Auftritt in dieser Rolle kam viel zu spät. Und ich merkte, wie ich wütend wurde.
»Ja?« sagte ich. »Das hier ...?«
»Das ist doch nichts weiter als billiger Gin gegen Sex. Das muß dir doch klar sein.«
»Mir ist klar«, sagte ich mit zusammengekniffenen Augen, weil mir das Licht vom Korridor in den Augen zu brennen anfing, »daß das hier viel mehr ist, als du dir überhaupt vorstellen kannst. Aber man darf schließlich keine Wunder an Verständnis erwarten, nicht wahr? Du bist ja wohl in Sachen Liebe und Leidenschaft von Erfahrung ziemlich unbefleckt.«
Mein Vater sagte: »Livie!« und hob den Kopf.
Meine Mutter erwiderte: »Du hast zuviel getrunken.« Sie drückte die Finger an die Schläfen und schloß kurz die Augen. Ich kannte die Anzeichen. Sie kämpfte gegen eine Migräne. Nur ein paar Minuten noch, dann würde ich die Schlacht gewonnen haben. »Wir rufen im College an und sagen, daß du morgen oder übermorgen kommst. Jetzt müssen wir dich erst einmal nach Hause bringen.«
»Nein. Wir brauchen uns nur zu verabschieden. Ich gehe nicht mehr nach Cambridge. Wer darf gnadenhalber den Rasen betreten? Wer trägt welchen Talar? Wer nimmt dieses Semester deine Hausarbeiten auseinander? Das ist kein Leben. Das hier ist Leben.«
»Mit einem verheirateten Mann?«
Mein Vater nahm sie am Arm. Das war offensichtlich die Trumpfkarte, die sie sich bis zuletzt aufgehoben hatten.
»Bei dem du immer warten mußt, bis seine Ehefrau ihn freigibt?« Meine Mutter, die genau wußte, wie sie diesen Moment zu nutzen hatte, streckte die Arme nach mir aus und sagte: »Ach, Olivia. Meine liebste Olivia.« Aber ich schüttelte sie ab.
Ich hatte es nicht gewußt, verstehen Sie, und meiner Mutter war das völlig klar gewesen. Ich, die dumme Zwanzigjährige, die sich maßlos überschätzte, der männermordende Vamp Olivia Whitelaw, der der Geliebte aus der Hand fraß, ich hatte es nicht geahnt. Ich hätte es merken müssen, aber ich hatte es nicht gemerkt, weil zwischen uns alles so anders war, so wahnsinnig spannend und aufregend. Aber plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie das häufig so ist, wenn man einen richtigen Schock erlitten hat, und ich wußte, daß meine Mutter die Wahrheit sagte. Er blieb nicht immer die ganze Nacht. Er behauptete, er hätte Verpflichtungen in einer anderen Stadt, und das stimmte sogar: in Brighton, bei seiner Frau und seinen Kindern.
Mutter sagte: »Du hast es nicht gewußt, nicht wahr, Herzchen?« Und das Mitleid in ihrer Stimme reizte mich so sehr, daß ich meine Stimme wiederfand.
»Wen interessiert das schon«, sagte ich und fügte hinzu: »Klar hab ich's gewußt. Ich bin ja schließlich nicht blöde.«
Aber ich war blöde. Sonst hätte ich auf der Stelle meine Sachen packen und Richie Brewster verlassen müssen.
Sie möchten wissen, warum ich es nicht getan habe, hm? Ganz einfach. Ich sah keine Alternative. Wohin hätte ich denn gehen können? Zurück nach Cambridge, um die Musterstudentin zu spielen, während alle nur darauf warteten, daß ich wieder ins Fettnäpfchen trat? Heim nach Kensington, wo Mutter sich, triefend vor Edelmut, meiner emotionalen Leiden angenommen hätte? Oder auf die Straße? Nein. Nichts davon kam in Frage. Ich würde nirgendwohin gehen. Ich hatte mein Leben voll im Griff, und das würde ich unwiderlegbar beweisen.
Ich sagte also: »Er trennt sich von seiner Frau, falls es euch interessieren sollte«, und knallte die Tür zu. Ich sperrte ab.
Sie klopften noch eine Weile. Wenigstens Mutter. Ich konnte hören, wie Dad mit leiser Stimme, die weit entfernt klang, sagte:
»Miriam, das reicht jetzt.« Ich kramte in der Kommode nach einer frischen Packung Zigaretten, zündete mir eine an, goß mir noch einen Drink ein und wartete darauf, daß sie es endlich aufgeben und abhauen würden. Und dabei überlegte ich die ganze Zeit, was ich sagen und tun würde, wenn Richie kam und ich ihn in die Knie zwang.
Ich hatte hundert verschiedene Szenarien auf Lager, die alle damit endeten, daß Richie um Gnade flehte. Aber er ließ sich zwei Wochen lang nicht mehr im Commodore blicken. Er hatte irgendwie Wind davon bekommen, was los gewesen war. Und als er endlich aufkreuzte, wußte ich bereits seit drei Tagen, daß ich schwanger war.
Olivia
Der Himmel ist heute wolkenlos, aber er ist nicht blau, und ich weiß nicht, warum. Er wölbt sich wie der Rücken eines glanzlosen Schilds hinter dem tristen
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