07 - Asche zu Asche
Wohnsilo, das sie dort hochgezogen haben, wo einst Robert Browning lebte, und ich sitze hier und betrachte ihn, während ich mir alle möglichen Gründe dafür ausdenke, warum er die Farbe verloren hat. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letztemal einen richtig blauen Himmel gesehen habe, und das beunruhigt mich. Vielleicht frißt die Sonne das Blau auf, versengt den Himmel zuerst an den Rändern, wie Feuer das bei Papier tut, und nagt sich dann immer schneller nach innen, bis schließlich über uns nur noch ein sich wie wahnsinnig drehender weißer Feuerball übrig bleibt, der schon verglühter Asche entgegenrast.
Niemand sonst scheint diese Veränderung des Himmels zu bemerken. Wenn ich Chris darauf aufmerksam mache, beschattet er seine Augen mit der Hand und sieht hinauf. Er sagt:
»Tatsächlich. Meinen Berechnungen nach haben wir in unserer derzeitigen Umweltsituation noch für zwei Stunden Luft zum Atmen. Sollen wir noch mal richtig auf den Putz hauen oder in die Alpen fliehen?« Dann zaust er mir das Haar und geht runter in die Kajüte, und ich hör ihn pfeifen, während er seine Architekturbücher vom Regal nimmt.
Er arbeitet gerade an der Renovierung eines Simses an einem Haus in Queen's Park. Die Sache ist relativ einfach, weil der Sims aus Holz ist, und Chris im allgemeinen lieber mit Holz als mit Stuck arbeitet. Stuck mache ihn nervös, sagt er. »Wer bin ich denn, daß ich mir anmaße, an einer Zimmerdecke von Adams herumzudoktern?« meint er. Früher dachte ich mal, das sei falsche Bescheidenheit von ihm; ich meine, wenn man bedenkt, wie viele Leute ihm Aufträge geben, sobald bekannt wird, daß wieder ein Viertel saniert werden soll. Aber das war, bevor ich ihn wirklich gut kannte. Da glaubte ich, er wäre ein Mensch, der es geschafft hatte, die Spinnweben des Zweifels aus sämtlichen Winkeln seines Lebens hinauszufegen. Erst mit der Zeit begriff ich, daß das eine Rolle war, in die er hineinschlüpfte, wenn Führung gefragt war. Der wahre Chris ist genau wie wir alle, ein Mensch mit vielen Unsicherheiten. Er hat eine Maske für die Nacht, die er aufsetzen kann, wenn die Situation es verlangt. Bei Tag jedoch, wenn es für ihn nicht so wichtig ist, die Macht zu haben, ist er der, der er ist.
Ich habe mir von Anfang an gewünscht, ich könnte mehr wie Chris sein. Selbst als ich die größte Wut auf ihn hatte - am Anfang, als ich andere Kerle hier auf das Hausboot schleppte und dafür sorgte, daß Chris auch mitkriegte, was ich trieb -, selbst da wollte ich sein wie er. Ich hätte mich so gern frei genug gefühlt, um mich ohne Maske zu zeigen und zu sagen:
»Schau, das bin ich, hinter dem ganzen Quatsch«, genau wie Chris das tat. Weil ich das nicht konnte, weil ich nicht er sein konnte, legte ich es statt dessen darauf an, ihn zu verletzen. Ich wollte ihn bis zum Äußersten treiben. Ich wollte ihn vernichten; denn wenn ich ihn hätte vernichten können, so hätte das bedeutet, daß seine ganze Lebensweise eine Lüge war. Und das brauchte ich.
Ich schäme mich der Person, die ich einmal war. Chris meint, Scham sei sinnlos. Er sagt: »Du warst das, was du sein mußtest, Livie. Laß es einfach los.« Aber das kann ich nicht. Jedesmal, wenn ich denke, ich wäre nahe daran, meine Hand zu öffnen, meine Finger zu spreizen und die Erinnerung ins Wasser rieseln zu lassen wie Sand, packt mich irgend etwas und hält mich zurück. Manchmal ist es ein Musikstück, das ich höre, oder das Gelächter einer Frau, wenn es schrill und falsch klingt. Manchmal ist es der muffige Geruch von Wäsche, die zu lange nicht mehr gereinigt worden ist. Manchmal ist es der Anblick eines Gesichts, das in plötzlichem Zorn hart geworden ist, oder ein Blickwinkel mit einem Fremden, dessen Augen stumpf sind vor Verzweiflung. Dann werde ich zur unwilligen Reisenden, die durch die Zeit getragen und Auge in Auge mit jener Person niedergesetzt wird, die ich gewesen bin.
»Ich kann nicht vergessen«, sage ich zu Chris, vor allem wenn ich ihn geweckt habe, weil ich Krämpfe in den Beinen habe, und er mit Beans und Toast, den Hunden, in mein Zimmer gekommen ist und mir ein Glas Milch mitgebracht hat, das er mich dann zu trinken zwingt.
»Du brauchst nicht zu vergessen«, erwidert er, während die Hunde es sich auf dem Boden zu seinen Füßen bequem machen.
»Vergessen heißt, daß man Angst hat, aus der Vergangenheit zu lernen. Aber du mußt verzeihen.«
Und ich trinke die Milch, obwohl ich sie gar nicht will, hebe das Glas
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