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07 - Asche zu Asche

07 - Asche zu Asche

Titel: 07 - Asche zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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der Schal, den sie im letzten Monat angefangen hatte. Sie hatte ihn ihrem Vater Ende Juni zum Geburtstag schenken wollen, und Kenny hätte ihn ohne Rücksicht auf die Witterung getreulich getragen, um seiner Tochter eine Freude zu machen.
    Als Jean die Tür ganz aufmachte, sah Sharon nicht zu ihr hin. Ihr kleines Gesicht war angespannt vor Konzentration, aber da sie ihre Brille nicht trug, ging ihr die Arbeit schlecht von der Hand.
    Die Brille lag auf dem Nachttisch neben dem Feldstecher, mit dem Sharon die Vögel zu beobachten pflegte. Jean nahm sie zur Hand, strich mit den Fingern über die Bügel und überlegte, wie alt ihre Tochter würde werden müssen, ehe sie ihr erlaubte, Kontaktlinsen zu tragen. Sie hatte vorgehabt, mit Kenny darüber zu sprechen, nachdem sie entdeckt hatte, daß es in der Schule drei Rowdys gab, die Sharon hänselten und Froschauge nannten. Jean wußte, wie Kenny reagiert hätte. Er hätte Sharon auf der Stelle zum nächsten Optiker geschleppt, um ihr Linsen anfertigen zu lassen, hätte ihr mit gutem Zureden geholfen, sich an sie zu gewöhnen, und hätte sie mit seinen Spötteleien über Jungen, die sich nur groß und stark fühlten, wenn sie vierzehnjährige Mädchen hänseln konnten, zum Lachen gebracht.
    »Eins links, eins rechts«, flüsterte Sharon. »Eins links, eins rechts ...«
    Jean hielt ihr die Brille hin. »Brauchst du die nicht, Shar? Soll ich Licht machen? In dieser Dunkelheit siehst du doch gar nichts.«
    Sharon schüttelte heftig den Kopf. »Eins links«, sagte sie.
    »Eins rechts.« Die Nadeln machten Geräusche wie pickende Vögel.
    Jean setzte sich auf die Bettkante. Sie nahm den Schal in die Hand. In der Mitte war er klumpig, an den Rändern wellig.
    »Der hätte Dad gefallen, Schatz«, sagte sie. »Er wäre stolz darauf gewesen.« Sie hob die Hand, um ihrer Tochter über das Haar zu streichen, unterbrach die Bewegung jedoch, um die Bettdecke geradezuziehen. »Versuch zu schlafen. Willst du bei mir schlafen?«
    Sharon schüttelte den Kopf. »Eins links«, murmelte sie. »Eins rechts ...«
    »Soll ich bei dir bleiben? Wenn du rüberrückst, kann ich mich ein bißchen zu dir setzen.« Sie wollte sagen: Die erste Nacht, wenn man vor Schmerz am liebsten die Faust durch das Fenster stoßen möchte, ist die schlimmste, glaube ich. Statt dessen sagte sie: »Vielleicht gehen wir morgen an den Fluß. Was meinst du dazu? Dann können wir versuchen, einen von den Vögeln aufzustöbern, die du schon so lange suchst. Wie heißen sie gleich wieder, Shar?«
    »Eins links«, flüsterte Sharon. »Eins rechts .....«
    »Es war doch so ein komischer Name.«
    Sharon wickelte Garn vom Knäuel und schlang es um ihre Hand. Sie sah nicht darauf nieder, schenkte ihrer Arbeit keinen Blick. Sie saß über ihr Strickzeug gekrünmmt, aber ihre Augen starrten mit leerem Blick auf die Wand, an der sie Dutzende ihrer Vogelzeichnungen aufgehängt hatte.
    »Hast du Lust, an den Fluß zu gehen, Schatz? Und Vögel zu beobachten? Du kannst ja deinen Block mitnehmen. Und wir könnten ein Picknick machen.«
    Sharon antwortete nicht. Sie drehte sich nur auf die Seite, kehrte ihrer Mutter den Rücken und strickte weiter. Jean sah ihr noch einen Moment zu. Ihre Hand schwebte über den Rücken ihrer Tochter, zeichnete den Bogen ihrer Schultern nach, ohne sie zu berühren. Dann sagte sie: »Ja, ich finde, das ist eine gute Idee. Versuch jetzt zu schlafen, Schatz«, und ging in das Zimmer ihrer Söhne auf der anderen Seite des Korridors.
    Es roch nach Zigarettenqualm, ungewaschenen Körpern und schmutzigen Kleidern. In einem der Betten lag Stan, still, von allen Seiten von Scharen von Stofftieren beschützt, die er rund um sich herum postiert hatte. Er schlief, die Bettdecke zu den Füßen hinuntergeschoben, eine Hand in seiner Pyjamahose.
    »Jeden Abend wichst der. Der braucht echt keinen Freund. Der hat seinen Pimmel.«
    Jimmys Stimme kam aus der dunkelsten Ecke des Zimmers, wo der Geruch nach Tabakqualm am stärksten war und hin und wieder aufleuchtende Glut ein Stück Lippe und den Knöchel eines Fingers erhellte. Sie ließ Stans Hand, wo sie war, und zog die Bettdecke hoch.
    »Wie oft hab ich dir schon gesagt, daß du im Bett nicht rauchen sollst, Jim?« fragte sie leise.
    »Keine Ahnung.«
    »Du bist wohl erst zufrieden, wenn das Haus endlich brennt?«
    Er prustete nur verächtlich.
    Sie zog die Vorhänge auf und schob das Fenster ein Stück hoch, um frische Luft hereinzulassen. Mondlicht fiel auf die braunen

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