07 - Old Surehand I
Christentum, welches sich über allen Andersgläubigen erhaben dünkt, sondern ich prüfte auch hier; ich studierte den Koran, die Veda, Zarathustra und Cong-fu-tse (Konfuzius). Diese Lehren konnten mich nicht ins Wanken bringen wie früher die Werke unserer ‚großen Philosophen‘, welche noch heut' in meiner Bibliothek ‚glänzen‘, weil ich sie außerordentlich schone, indem ich sie fast nie in die Hand nehme. Mein Kinderglaube ist also durch zahlreiche Prüfungen gegangen; er hat sich in ihnen voll bewährt und wohnt mir darum doppelt unerschütterlich im Herzen.“
„Glaubt Ihr, ihm auch ferner treu zu bleiben?“
„Bis in den Tod und darüber hinaus!“
Es lag ein tiefer, dringlicher Ernst in der Weise, wie er fragte. Ich begann zu ahnen, daß dieser gewaltige Jäger auch in seinem Innern jage – nach der Wahrheit, die er vielleicht noch nicht kennengelernt hatte oder die ihm wieder entrissen worden war. Da hielt er mir die Hand herüber und bat:
„Gebt mir einmal Eure Hand, Sir, und versprecht mir bei Eurer Seligkeit und bei dem Andenken jener alten Großmutter, die Euch heut' noch teuer ist, mir genau nur so zu antworten, wie Ihr wirklich denkt!“
„Hier meine Hand; ich verspreche es. Es bedarf gar nicht des Hinweises auf meine Seligkeit und des Andenkens an jene alte, liebe Frau, die ich einst wiedersehen werde.“
„Gibt – es – einen – Gott?“
Er zog diese vier Worte weit auseinander und betonte jedes einzelne von ihnen. Ja, es war ihm Ernst, wahrer Ernst. Er hatte gerungen und gekämpft, mit heißer Anstrengung, war aber noch nicht zum Sieg gelangt.
„Ja“, antwortete ich mit derselben Betonung.
„Ihr glaubt, Eure Großmutter wiederzusehen; es gibt also ein Leben nach dem Tod?“
„Ja!“
„Beweise!“
„Ich beweise es Euch, indem ich zwei Koryphäen vorführe, deren Kompetenz über allen Zweifel erhaben ist.“
„Wer sind diese Personen?“
„Eine sehr, sehr hochstehende und eine ganz gewöhnliche.“
„Nun also, wer?“
„Gott selbst und ich.“
Er senkte den Kopf und schwieg lange, lange Zeit.
„Beleidigt Euch die Zusammenstellung des allerhöchsten Wesens mit einem Sterblichen, der an Eurer Seite reitet?“ fragte ich endlich, da er noch immer nichts sagte.
„Nein, denn ich weiß, wie Ihr es meint. Also Gott?“
„Ja. Er spricht in seinen Worten und in seinen Werken. Wer beiden die Ohren und die Augen willig öffnet, der wird und muß zu der Erkenntnis gelangen, die ich jetzt ausgesprochen habe.“
„Und Ihr?“
„Es ist die Stimme meines Herzens.“
„Ihr sagt das so ruhig und einfach, und doch ist es etwas so Großes um diese Stimme. Wollte doch Gott auch mein Herz reden lassen!“
„Bittet Gott darum; er wird sie erklingen lassen!“
„Sie war früher lebendig; dann ist sie gestorben!“
Das klang so sehnsüchtig, so traurig.
„Ihr wart einst auch gläubig, Mr. Surehand?“
„Ja.“
„Und habt den Glauben verloren?“
„Vollständig. Wer gibt ihn mir zurück!“
„Derjenige, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt, und derjenige, welcher sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben! Ihr ringt und strebt nach dieser Wahrheit, Sir; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost, Sir, sie wird Euch ganz unerwartet und plötzlich aufgehen, wie einst den Weisen im Morgenland jener Stern, der sie nach Bethlehem führte. Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut' und hier; ich ahne es!“
Er hielt mir die Hand abermals herüber und bat:
„Helft mir dazu, Mr. Shatterhand!“
„Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott. Es müssen schlimme Mächte gewesen sein, die Euch das raubten, was jedem Menschen das Höchste und das Heiligste sein soll.“
„Ja; es waren Ereignisse, die mir alles nahmen, auch den Glauben. Ein Gott, der die Liebe, die Güte, die Gerechtigkeit ist, kann das nicht zugeben; wenn es trotzdem geschieht, so gibt es keinen Gott.“
„Dieser Schluß ist ein Trugschluß, Sir.“
„Nein!“
„Doch! Ihr spracht nur von Güte, Liebe und Gerechtigkeit; wollt Ihr nicht auch an die Allweisheit denken? Ich weiß nicht, was geschehen ist, und will auch nicht danach fragen; aber sagt mir nur das eine, Mr. Surehand: Seid Ihr etwa ein Gott?“
„Nein.“
„Ihr scheint Euch aber für einen zu halten!“
„Wieso?“
„Weil Ihr Euch unterfangen habt, mit Gott zu rechten und zu hadern; das kann nur unter Gleichstehenden geschehen.“
„Uff!“
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