07 - Old Surehand I
ärgerlich.
„Eigentlich nichts; das ist richtig; aber da wir hier zusammengehören, kann es mir nicht gleichgültig sein, ob Ihr im nächsten Augenblick ein ganzes oder ein zerbrochenes Genick haben werdet.“
„Habt keine Sorge um mich; ich breche es nicht!“
„Sah aber ganz so aus. Wenn man so fesch und schlank dahinfliegt, legt man dem Pferd doch nicht die Zügel auf den Hals!“
„Wollt Ihr mich das Reiten lehren?“
„Fällt mir nicht ein; habe ja gesehen, daß Ihr keinen Lehrer braucht. Was ich aber noch nicht gesehen habe, das ist ein Reiter, der mit gefalteten Händen reitet, als ob er in einem Bet- und Lamentierstuhl ritte. Das wart nämlich jetzt Ihr, Mr. Shatterhand.“
„Bet- und Lamentierstuhl? Wie kommt Ihr zu dieser Zusammenstellung?“
„Ist meine Ansicht, Sir.“
„So ist Beten und Lamentieren bei Euch dasselbe?“
„Yes.“
„Hört, das ist ein dummer Scherz!“
„Scherz? Es ist mein Ernst!“
„Unmöglich! Welcher Mensch kann das Gebet als Lamentation bezeichnen!“
„Ich!“
Da zog es mein Gesicht mit einem Ruck nach ihm hin. Ich fragte:
„Ihr habt doch oft und viel gebetet?“
„Nein.“
„Dann aber doch zuweilen?“
„Auch nicht.“
„Wohl gar nie?“
„Nie!“ nickte er, und das klang fast wie ein Stolz in seinem Ton.
„Herrgott, das glaube ich nicht!“
„Glaubt's oder glaubt es nicht; mir gleich; aber ich betete noch nie.“
„Aber doch in Eurer Jugend, als Kind?“
„Auch nicht.“
„Hattet Ihr denn keinen Vater, der von Gott zu Euch redete?“
„Nein.“
„Keine Mutter, die Euch die Hände faltete?“
„Nein.“
„Keine Schwester, die Euch ein kurzes Kindergebet lehrte?“
„Auch nicht.“
„Wie traurig, wie unendlich traurig! Es gibt auf dieser Gotteswelt einen Menschen, der über neunzig Jahre alt geworden ist und in dieser langen, langen Zeit noch nicht ein einziges Mal gebetet hat! Tausend Menschen könnten mir dies beteuern, ich würde es nicht glauben, ja, ich würde und könnte es nicht glauben, Sir.“
„Da ich selbst es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.“
„Ruhig? Ich bin aber nicht ruhig dabei, ganz und gar nicht!“
„Wüßte keinen Grund für Euch, Euch durch eine so klare und einfache Sache, die mir sehr gleichgültig ist, in Eurer Ruhe stören zu lassen!“
„Gleichgültig? Ist Euch das wirklich so gleichgültig, Mr. Cutter?“
„Vollständig!“
„Entsetzlich!“
„Pshaw! Habe nicht geahnt, daß Ihr ein solcher Betbruder seid!“
„Betbruder? Der bin ich nicht, wenn Ihr nämlich dieses Wort in dem Sinn meint, wie es von den Gottlosen genommen wird.“
„Ich meine es so, ganz genau so. Ob ich aber gottlos bin? Hm!“
„Das seid Ihr; los von Gott nämlich!“
„Hört, treibt's nicht zu arg, Mr. Shatterhand! Ich bin ein Gentleman, kein Lump. Ich habe stets getan, was ich für richtig hielt, und möchte den sehen, der mich im Ernst als gottlos bezeichnet!“
„So seht mich an!“
„Also ist's wirklich Euer Ernst?“
„Mein völliger. Ihr habt stets getan, was Ihr für richtig hieltet, seid also stets Euer eigener Gesetzgeber gewesen. Sollte es kein Gesetz geben, welches über Euerm Eigenwillen steht?“
„Hm! Die Gesetze der Vereinigten Staaten, nach denen ich mich richte.“
„Weiter keine?“
„Nein.“
„Gibt es nicht ethische, religiöse, göttliche Gesetze?“
„Für mich nicht. Ich bin geboren; das ist ein Fakt. Ich bin geboren, wie ich bin; das ist ein zweites Fakt. Ich kann nicht anders sein, als ich bin; das ist ein drittes Fakt. Ich trage also nicht die geringste Schuld an dem, was ich bin und was ich tu; das ist das Hauptfakt. Alles andere ist Unsinn und Albernheit.“
„Hört, Mr. Cutter, Eure Logik hinkt auf allen Beinen!“
„Laßt sie hinken, Sir! Ich bin in das Leben hereingehinkt, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben, und der Teufel soll mich holen, wenn ich nun meinerseits beim Hinaushinken irgendwen um Erlaubnis frage! Ich brauche dazu weder Religion noch Gott.“
Es war entsetzlich. Die Haare wollten sich mir bei diesen Worten sträuben, und ich hatte ein Gefühl, als ob mir jemand mit einem Eisstück über den Rücken führe. Vor nur wenigen Minuten hatte ich mir den Ritt eines ungläubigen Menschen durch die Wüste gedacht, und jetzt war der Gedanke zur Wahrheit geworden! Dieser Greis, der nicht daran dachte, in welcher Nähe sich das Grab vor ihm befand, sprach Worte aus, welche für meine Ohren eine Lästerung enthielten, die mich schaudern
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