07 - Old Surehand I
nennt?“
„Sie nennt sich vollständiger Tibo-wete-elen.“
„Ich weiß es. Du hast auch das vom Wawa Derrick und vom Myrtle-wreath gewußt. Der Medizinmann war ganz außer sich darüber.“
„Warum? Soll niemand davon wissen?“
„Nein.“
„Aber du weißt es auch.“
„Ich bin kein Weißer, sondern ein Indianer.“
„Ah! Bloß Weiße sollen es nicht wissen?“
„Ja.“
„Warum das?“
„Weil diese Worte Zauberworte sind. Sie gehören zu den Geheimnissen der Medizin.“
„Wirklich?“
„Ja.“
„Kennst du ihre Bedeutung?“
„Nein.“
„Und bist doch der Sohn des Medizinmanns!“
„Er teilt auch mir seine Geheimnisse nicht mit. Er fragt, woher du diese Worte wissen könntest; ich konnte ihm keine Auskunft erteilen; aber ich habe ihm gesagt, daß du im Kaam-kulano gewesen bist und von dort die Medizinen des Häuptlings geholt hast. Vielleicht hast du dort meine Mutter gesehen?“
„Allerdings.“
„Und hast mit ihr gesprochen?“
„Ja.“
„Sie hat dir diese Worte gesagt?“
„Ja.“
„Uff! Das darf der Medizinmann nicht wissen.“
„Warum nicht?“
„Weil er sonst meine Mutter schlägt.“
„Ah!“
„Ja, er mißhandelt sie. Ein tüchtiger Krieger ist zu stolz, sich an seinem Weib zu vergreifen; er aber schlägt sie, so oft er diese Worte von ihr hört. Ich darf ihm also nicht sagen, daß du sie von ihr hast.“
„Von wem soll ich sie sonst gehört haben?“
„Von einem unserer Krieger, der sie dir verraten hat. Alle unsere Krieger kennen diese Worte, die sie oft gehört haben.“
„Hm! Sonderbar!“ sagte ich nachdenklich. „Du hast die Pfeife der Bruderschaft mit mir geraucht. Glaubst du, daß ich es gut mit dir meine?“
„Ja.“
„Willst du einmal aufrichtig, recht aufrichtig mit mir sein?“
„Ich will.“
„Liebst du deinen Vater, den Medizinmann?“
„Nein.“
„Aber du liebst deine Mutter, sein Weib?“
„Sehr!“
„Liebt sie ihn?“
„Das weiß ich nicht. Sie flieht ihn, weil ihre Seele von ihr gewichen ist.“
„Hast du ihre Seele noch bei ihr gesehen?“
„Nein. Als ich noch ein kleiner Knabe war, hatte sie sie schon verloren.“
„Der Medizinmann ist ein Naiini?“
„Nein.“
„Ah, so hat er mich belogen!“
„Hat er gesagt, daß er ein Naiini sei?“
„Ja.“
„Es ist nicht wahr; er ist von einem andern Stamm zu den Naiini gekommen.“
„Von welchem?“
„Das weiß ich nicht; er sagt es niemandem.“
„Verkehrt er mit weißen Männern?“
„Nur wenn er durch Zufall welche trifft.“
„Hat er Freunde unter ihnen?“
„Nein.“
„Paß auf, was ich dich jetzt frage! Flieht er die Bleichgesichter vielleicht?“
„Ja.“
„Ich meine: Hütet er sich vor einer Begegnung mit ihnen etwa mehr als andere rote Männer?“
„Ob mehr, das weiß ich nicht.“
„So denke darüber nach!“
„Besondere Sorge hat er nicht vor ihnen.“
„So! Ich hätte das Gegenteil gedacht.“
„Warum?“
„Weil ich einen Verdacht gegen ihn habe.“
„Welchen?“
„Du bist sein Sohn, und ich bitte dich, jetzt noch darüber schweigen zu dürfen. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich es dir sage.“
„Ganz, wie Old Shatterhand will! Darf ich nun auch eine Bitte aussprechen?“
„Tu es!“
„Hat dir meine Mutter nicht gesagt, daß du über ihre Worte schweigen sollst?“
„Das tat sie allerdings.“
„Und doch hast du zu meinem Vater davon gesprochen!“
„Weil ich annahm, daß er diese Worte kennt. Einem andern hätte ich sie nicht verraten.“
„So schweig von jetzt an gegen alle Leute! Sie sind ein Geheimnis der Medizin.“
„Hm! Ich spreche zwar Eure Sprache; aber du mußt sie doch noch besser kennen als ich. Was taka und wete ist, das weiß ich; aber was hat man unter tibo zu verstehen?“
„Das kann ich dir nicht sagen.“
„Ist dir dieses Wort wirklich unbekannt?“
„Ich habe es oft von der Mutter gehört, weiß aber nicht, was es bedeutet.“
„Und elen ?“
„Auch das weiß ich nicht.“
„Sonderbar! Es gibt keine Sprache der roten Männer, in welcher diese Worte vorkommen; aber ich muß es unbedingt noch erfahren, welchen Sinn sie haben!“
„Du willst in die Geheimnisse der Medizin eindringen?“
„Ja, wenn das nämlich Medizin ist, was ich aber nicht glaube.“
Er schüttelte den Kopf und sagte:
„Ich weiß nicht, warum die Seele Old Shatterhands sich in dieser Weise mit meinem Vater und mit meiner Mutter beschäftigt; aber ich warne ihn, sich vor dem Medizinmann zu
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