07 Von fremder Hand
Brauch höchstwahrscheinlich übernommen. Damit ließ man keinen Zweifel daran, wer oder was der betreffende Mensch in seinem Leben gewesen war.
Andrew wandte den Blick wieder nach Osten, vorbei an der Stadt mit der Abtei in ihrer Mitte, zum Gipfel des Tor, der in eine graue Wolkenbank hineinragte. Würde er eine solche Bloßstellung verkraften können? Den Ruin? Den Verlust all dessen, was ihm teuer war? Er hatte nie etwas anderes tun wollen als unterrichten, und das würde danach nicht mehr möglich sein.
Schlimmer noch, seine Schwester würde ihn verachten. Und diese Vorstellung konnte er am allerwenigsten ertragen.
Nach Jacks Besuch am gestrigen Nachmittag hatte Simon gewissenhaft Kopien von Rechnungsbüchern der Abtei durchforstet. Aufzeichnungen über die Erträge der vielen zur Abtei gehörenden Ländereien waren ein wichtiger Teil des Klosterlebens gewesen, und die jährlichen Eintragungen enthielten Angaben wie »7000 Aale von der Fischerei zu Martinsey«, »Honig von der Metbrauerei zu Northload« oder »30 Lachse vom Cellerar für das Fest der Mönche«.
Aber auch die Ausgaben der Abtei waren vermerkt worden, und in einer dieser Aufzeichnungen, irgendwo in der winzigen, verblassten Handschrift auf einem der Pergamente, machte Simon eine Entdeckung. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und las die Stelle noch einmal.
Im Sommer des Jahres 1082 hatte Abt Thurstan einen Steinmetz namens Hamlyn für Reparaturarbeiten an der Kirche von St. Dunstan bezahlt.
Es konnte kein Irrtum vorliegen. Er hatte diese spezielle Eintragung in den vergangenen Monaten wohl ein Dutzend Mal gelesen, ohne ihr besondere Aufmerksamkeit zu schenken - doch da besaß er auch noch nicht das nötige Wissen, um die Verbindung herzustellen.
Er ging natürlich von einer Reihe von Vermutungen aus: dass Edmund noch keine zwanzig gewesen war, als er Alys’ Reizen erlegen war; dass nur ein einziger Steinmetz während dieser Zeit zu Reparaturarbeiten angestellt worden war; und dass Hamlyn eine Tochter mit Namen Alys gehabt haben könnte.
Er versuchte, seine Erregung im Zaum zu halten, während er seine Quellen nach irgendeiner Erwähnung ihres Namens zu durchkämmen begann. Es war schon fast Mittag, als er sie endlich fand, und es verblüffte ihn, dass sie ihm noch nicht vorher aufgefallen war, als er nach Hinweisen auf Jacks Vorfahren gesucht hatte. Herluin, der Thurstan im Jahre 1100 als Abt abgelöst hatte, war entschlossen gewesen, die Ländereien zurückzugewinnen, die der Abtei im Zuge der normannischen Eroberung verloren gegangen waren, und er wollte ihren Reichtum mehren. So hatte der Abt eine ausführliche Aufstellung aller Besitztümer der Abtei in Auftrag gegeben, und in einem dieser Dokumente war vermerkt, dass Alys Montfort, geborene Hamlyn, der Abtei eine bestimmte Menge feinen Tuchs zum Geschenk gemacht hatte, mit der Auflage, dass sie als Spenderin namentlich vermerkt würde.
Alys hatte also geheiratet, und es schien sogar eine gute Partie gewesen zu sein. Aber was war aus dem Kind geworden? Wenn es entgegen Edmunds Erwartungen überlebt hatte, dann konnte Jack sehr wohl ein direkter Nachfahre von Alys Montfort sein. Der Vorname ihres Mannes wurde nirgendwo erwähnt, aber gewiss konnte es während jener Zeitspanne nicht sehr viele Männer mit dem Namen Montfort gegeben haben, zumal solche, deren Stellung es ihren Ehefrauen erlaubt hätte, der Kirche ein so großzügiges Geschenk zu machen.
Vielleicht würde Edmund diese Fragen beantworten können, doch abgesehen davon, dass Jack zurzeit ganz von Winnies Genesung in Anspruch genommen war, konnte Edmund recht eigenwillig sein, was seine Informationen betraf. Und da es den Anschein hatte, dass die vergangenen Ereignisse in Edmund noch starke Gefühle auslösen konnten, war es denkbar, dass das Thema der Heirat seiner Geliebten für ihn immer noch ein schmerzliches war.
War es das Schuldbewusstsein, das Edmund dazu brachte, über die Jahrhunderte hinweg mit ihnen zu kommunizieren? Der Mönch schien das Gefühl zu haben, dass er durch seine Tändelei mit Alys Hamlyn und seine Mithilfe bei dem Versuch, ihr Kind abzutreiben, in irgendeiner Weise für den Verlust des Chorals verantwortlich sei und dass nur die Wiedergewinnung dieser Musik seine Sünden sühnen würde.
Simon las Edmunds letzte Mitteilung noch einmal sorgfältig durch. Was meinte er damit, wenn er sagte, er habe Alys gegeben, »was ihm das Kostbarste war«? Wenn
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