07 Von fremder Hand
vorstellen, wie das für uns gewesen ist«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Unser Kind zu verlieren, nicht zu wissen, ob sie tot oder am Leben ist. Und Gary - Gary erlaubt uns nicht einmal, ihren Namen auszusprechen... es war furchtbar für Meredith und Jon...« Sie hob den Kopf; ihr Gesicht war verquollen und tränenüber-strömt. »Wie konnte sie uns das nur antun?«
»Maureen, Kinder machen nun einmal Fehler. Wir alle machen Fehler, aber dieser hier ist nicht leicht wieder gutzumachen. Ich bin sicher, dass Faith nie die Absicht hatte, einem von Ihnen wehzutun.«
»Warum ist sie dann so stur? Wenn sie uns doch nur gesagt hätte, was passiert ist und wer der Vater ist, oder wenn sie einfach nur vernünftig gewesen wäre und sich entschlossen hätte, es...« Maureen brach abrupt ab, als ihr Blick auf Winnies Priesterkragen fiel. »Ich hätte nie gedacht... als Gary ihr sagte, nach dem Gesetz sei sie erwachsen, und wenn sie uns weiter jeden Respekt schuldig bleiben wolle, dann könne sie auch für sich selbst sorgen... Ich hätte nie geglaubt, dass sie wirklich gehen würde.«
Winnie hörte zu und nickte aufmunternd; sie wusste, wie sehr Maureen Wills sich danach gesehnt haben musste, mit jemandem über diese Dinge zu sprechen.
»Und als ich dann merkte, dass sie weg war - das war ja schon furchtbar genug. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie nicht zurückkommen würde. Jede Minute, jede Stunde glaubte ich die Haustür zu hören. Oder ich dachte, sie würde anrufen und mir sagen, ich solle sie irgendwo abholen. Manchmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich dachte, ich müsste sie vom Fußballtraining abholen oder von der Chorprobe, und dann fiel es mir plötzlich ein...«
»Sie hat mir gesagt, dass sie im Chor gesungen hat. Das scheint ihr sehr viel bedeutet zu haben.«
»Sie war in Somerfield. Wir waren so stolz auf sie.«
»Faith ist ein ganz außergewöhnliches Mädchen, Mrs. Wills - Maureen. Was geschehen ist, ändert daran nichts. Ich kenne kaum ein Mädchen in ihrem Alter, das so mutig und selbstständig ist.«
»Ich möchte sie sehen - bitte. Können Sie mich nicht zu ihr bringen?«
Es war nicht leicht, ihrer unter Tränen vorgetragenen Bitte zu widerstehen, doch Winnie schüttelte den Kopf. »Ich muss Faiths Wünsche respektieren. Aber ich werde ihr sagen, was Sie mir gesagt haben, und ich werde mein Bestes tun, ein Treffen zu arrangieren. Ich denke, mehr können wir uns im Augenblick nicht erhoffen.«
»Aber wo ist sie? Wie kommt sie zurecht? Isst sie auch genug? Besucht sie Ihre Kirche?«
»Ich habe Faith als eine Freundin kennen gelernt, nicht in meiner offiziellen Funktion«, erklärte Winnie. »Sie hat Arbeit, sie ist sicher untergebracht, und es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die um ihr Wohl besorgt sind.«
»Aber wie wird sie zurechtkommen, wenn das Kind einmal ... Wann ist es eigentlich... ?«
»Ende Oktober, glaube ich. Was sie dann tun wird, weiß ich nicht, aber wir haben noch etwas Zeit, eine Lösung zu finden. Wenn Sie nur -«
Im hinteren Teil des Hauses war ein Geräusch zu hören, und Maureen Wills erstarrte. Mit erhobener Hand mahnte sie Winnie zum Schweigen. »Es ist Gary mit den Kindern. Ich will nicht, dass er... Es wird besser sein, wenn ich mit ihm spreche. Könnten Sie -«
Die Frau schien so verängstigt, dass Winnie ihr nur rasch die Visitenkarte reichte, die sie aus ihrer Handtasche genommen hatte, und sich erhob. »Hier haben Sie meine Nummer. Rufen Sie mich an.«
Sie tätschelte Maureens zitternde Hände und war bereits durch die Vordertür verschwunden, als eine wütende Männerstimme schrie: »Maureen, wo bist du? Die verdammten Fritten sind ja völlig verkohlt! Maureen?«
Winnie fuhr mit der Hoffnung nach Hause, dass es ihr gelungen war, Faiths Aussöhnung mit ihrer Familie ein wenig zu befördern. Allerdings mochte es unklug sein, eine räumliche Wiedervereinigung anzustreben, wenn Mr. Wills tatsächlich so einschüchternd war, wie er wirkte. Es schien offensichtlich, dass er ein wirkliches Hindernis darstellte. In den Familienberatungen, die sie in ihrer Gemeinde seit Jahren durchführte, hatte sie dies einige Male erlebt: Männer betrachteten die Schwangerschaft einer Tochter häufig als persönlichen Affront, und selbst in den besser funktionierenden Familien schien Eifersucht immer ein Faktor zu sein. Auffallend fand sie nur, welch große Mühe Faith sich gegeben hatte, einen
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