070 - Komplott der toten Moerder
schließlich.
Sie kamen durch den winkligen Korridor in ein orientalisch möbliertes Zimmer.
„Bitte.“ Mohammed Marfadra deutete auf einen flachen Diwan. „Familienangelegenheiten?“
„Ja, Neuigkeiten von Ihrem Bruder.“
„Von Hassan? Der ist nicht in London.“
Das Mißtrauen in Mohammed Marfadras Augen war nicht geringer geworden. Unvermutet stellte er eine Frage: „Sind Sie Marokkaner?“
Er hatte den anderen damit überrumpeln wollen – aber auf das, was seine Worte auslösten, war er nicht vorbereitet. Denn plötzlich schienen die Gesichtszüge des Besuchers sich völlig zu verändern.
Aus dem Mund des Unbekannten kamen arabische Laute. Dann schaltete er mitten im Satz um und sprach wieder das kultivierte Englisch der britischen Oberschicht. Das ging ein paarmal so, bis Mohammed aufsprang und sich erregt über seinen Besucher beugte: „Was ist das? Was machen Sie? Wer sind Sie?“
Das Gesicht des Unbekannten veränderte sich so sehr, daß Mohammed sich für kurze Zeit fast seinem Bruder Hassan gegenüber zu sehen glaubte.
Der Unbekannte rief auf arabisch: „Mohammed – hilf mir.“
Dann hörte man wieder englische Laute: „Einen Moment, bitte.“
Schließlich benützte der seltsame Besucher erneut wieder die arabische Sprache: „Mohammed, er hat mich …“
Doch schon veränderten sich die Gesichtszüge von neuem. Der Fremde sah wieder so aus wie vorher.
„Ich verlange jetzt zu wissen, wer Sie sind und was Sie wollen“, sagte Mohammed.
„Gut. Ich glaube nicht, daß Sie unser Geheimnis verraten werden, Mohammed Marfadra. Die Wahrheit ist – wir sind zu zweit in diesen einen Körper hineingepfercht, den Sie hier vor sich sehen. Eigentlich sind sogar noch mehr hier drinnen bei uns, aber die anderen zählen nicht. Nur mit mir als dem Stärksten und Ihrem Bruder Hassan als dem ursprünglichen Besitzer dieses Körpers ist zu rechnen.“
„Wo ist mein Bruder?“
„Er sitzt vor Ihnen. Erkennen Sie ihn nicht? Das heißt – auch er sitzt vor Ihnen, außer mir.“
Mohammed Marfadra trat dicht an seinen seltsamen Besucher heran. Er betrachtete ihn aufmerksam, hob eine Hand und berührte die Warze, die der andere an der Schläfe hatte. „Hassan?“ rief er. „Gott! Was haben sie mit dir gemacht? Du bist ja … gar nicht wiederzuerkennen!“
Der Unbekannte lehnte sich auf dem Diwan lässig zurück. „Ich lasse Sie jetzt mit Ihrem Bruder sprechen, Mohammed Marfadra, und wenn ich selbst etwas zu sagen habe, schalte ich mich dazwischen.“
Mohammed Marfadra sah den anderen verstört an. Nach einer Weile sagte er mit unvermuteter Härte: „Ich höre.“
Raoul Marfadra rief: „Mohammed, mit mir ist etwas Schreckliches geschehen! Vielleicht kannst du mir auch nicht mehr helfen.“
Mohammed fragte: „Wer hat das getan?“
Der Unbekannte in Hassan Marfadras Körper schaltete sich ein: „Niemand. Es ist einfach geschehen. Obwohl ich darüber nicht gerade traurig bin. Wissen Sie, was ein Medium ist?“
Mohammed Marfadra sah ihn nur unverwandt mit einem harten Blick an, ohne zu antworten.
Der Unbekannte fuhr fort: „Ein Medium ist ein lebender Mensch, durch dessen Mund die Toten sprechen. Nach bestimmten Beschwörungen natürlich. Nun, die Sache ist einfach: Ihr Bruder Hassan ist so ein Medium, und ich bin ein Toter. Aber es besteht ein Unterschied zwischen Ihrem Bruder und anderen Medien: Bei den anderen sind die Geister nach kurzer Zeit erschöpft und müssen zurück nach drüben. Aber in Hassan Marfadras Körper bleiben sie, sie machen ihn zu ihrem eigenen. Sehen Sie? Dieser kleine Finger bewegt sich nach meinem Willen, nicht nach dem Ihres Bruders. Obwohl auch Ihr Bruder noch vorhanden ist, irgendwo hier drinnen.“ Er tippte mit der Hand an die Stirn. „Und noch etwas: Ihr Bruder zieht nicht irgendwelche beliebigen Geister an – er hat sich spezialisiert. Er ist ein Medium der toten Mörder.“
Mohammed Marfadra versank in ein stummes Gebet. Es hatte den Anschein, als sei er ganz allein im Zimmer.
Als er wieder hoch blickte, war er sich klar darüber, daß die phantastische Geschichte stimmte. Er fragte: „Warum sind Sie hergekommen? Meinem Bruder gehört mein Leben und mein Eigentum. Aber was hat Sie hergeführt?“
Der Unbekannte sagte: „Die Polizei ist hinter uns her. Wir könnten Hilfe gebrauchen.“
Raoul Marfadra meinte erklärend: „Er hat drei Kapitalverbrechen begangen – mit meinen Händen hat er Menschen umgebracht, und ich konnte nichts dagegen tun. Glaube
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