070 - Schreie des Grauens
weiter."
Er wußte, daß sich das Verhängnis vor ihm versteckte. Es tarnte sich mit wahrer Meisterschaft - oder mit der Raffinesse der Unschuld.
Er mußte eine halbe Stunde warten, dann erschien der Boy mit den gewünschten Zeitungen. Wieder wechselte ein Schein einen Besitzer. Dorian schlug nacheinander die einzelnen Unterhaltungsseiten auf und legte die Folgen nebeneinander. Dann goß er sein Glas wieder voll und begann die Zeichnungen Matas zu studieren. Schließlich hatte er praktisch neben ihr gesessen und ihr beim Zeichnen zugesehen. Selbst er, der erfahrene und durch tausend Höllenfeuer geläuterte Dämonenkiller, fühlte sich ein wenig geschmeichelt, als er sich gezeichnet sah: Maria Renata machte aus ihm einen sympathischen Helden. Er grinste, als er die ersten Bilder sah, aber sein Grinsen wurde spärlicher und erstarb schließlich.
„Ich glaube, ich werde auch verrückt", murmelte er, mehr verblüfft und erschrocken als verärgert. Diese Zeichnungen und auch die Texte waren nicht die, bei deren Entstehung er dabeigewesen war. Mata hatte falsch gespielt. Sie hatte ihn bewußt und mit raffinierten Mitteln getäuscht.
Langsam wanderte sein Blick über die Zeichnungen. Tatsächlich stellten die ersten drei Bilder „seinen" Sieg über den Spiegeldämonen dar. Die Dialoge waren geradezu heiterfrivol. Dann änderte sich die Aussage. Der vermeintliche Helfer, der Geliebte ohne Lügen, wurde zu einem lächerlichen Witzbold, in dem Ungeschicklichkeit, Angst und Unverständnis überhandnahmen. Er versagte sogar in der Liebe. Die Texte wurden härter. Sie schilderten die Enttäuschung des Mädchens und den Triumph des Dämonen, der anfangs einen echten Gegner gehabt hatte. Als Dorian die letzten Bilder in der heutigen Ausgabe analysiert hatte, faltete er schweigend die Zeitungen zusammen und steckte sie in den Papierkorb.
Ein Blick auf die Uhr: noch fünf Stunden bis zu ihrer Verabredung bei Gregor.
„Vermutlich zeichnet sie jetzt eine Folge, die noch schlimmer ist", brummte Dorian.
Er verstand sich, Mata und alles andere weniger denn je. Außerdem sollte er wohl in London anrufen.
Er stand auf. Im selben Augenblick klopfte der Kellner an die Tür und brachte das Essen. Er deckte den Tisch, erhielt angemessenes Trinkgeld, aber Dorian war nicht recht in der Lage, das hervorragende Menü richtig zu genießen.
Mata hatte also zwei verschiedene Zeichnungen angefertigt. Eine, die ihn positiv schilderte, eine andere, die sie zur Zeitung brachte und abdrucken ließ. Trotzdem zweifelte er nicht daran, daß etwas oder jemand Mata zwang, so und nicht anders zu verfahren. Aber es war nicht die geringste Warnung erfolgt. Es gab keinerlei Indizien - abgesehen von jenem Spaziergang nachts, der Mata augenscheinlich erschöpft und aufgeregt hatte. Ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen konnte nicht so raffiniert sein. Unmöglich! Außerdem kannte sie ihn nicht. Sie war also gar nicht in der Lage, ihm eine Falle zu stellen.
Was ging hier vor?
Plötzlich war Dorian sicher, in Lebensgefahr zu schweben. Völlig unsichtbar wurden Fallen für ihn aufgestellt, wurden tödliche Entwicklungen eingeleitet. Er, der verliebte Narr, merkte von allem nichts.
Er wartete noch fünf Stunden. In diesen dreihundert Minuten ließ er alle seine Informationen ununterbrochen an sich vorbeiziehen, untersuchte sie und versuchte, ein System zu erkennen.
Das Ergebnis war: Null.
Gregor setzte sich auf die Platte unterhalb der Theke, schob das Glas mit dem doppelten Cardinal Mendo za zwischen Dorians Finger und sagte so leise, daß es selbst der Gast auf dem übernächsten Hocker nicht verstehen konnte: „Hören Sie, Mister - ich kenne Sie nicht. Ich weiß nicht, wer Sie sind, und es geht mich nichts an. Aber Sie sind die richtige Medizin für Mata. Sie blüht auf wie eine Rosenknospe."
Dorian überlegte sich die Antwort. Er sah in die Augen des Barbesitzers und glaubte zu erkennen, daß Anmoser es ehrlich meinte.
„Danke für das Kompliment", sagte er in derselben Lautstärke. „Aber ich bin nicht sicher. Die Geheimnisse oder besser die seltsamen Verhaltensweisen machen mir zu schaffen."
Der Wirt fuhr sich mit allen fünf Fingern durch den Bart, brummte etwas Unverständliches und murmelte endlich: „Ich kenne sie seit knapp zwei Jahren. Sie war ein schönes, lebenslustiges Mädchen. Irgendwie verrückt - auf die sympathische Art, verstehen Sie - war sie auch. Sie studierte, zeichnete, schnitzte, aber sie war immer etwas Besonderes. Und
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