070 - Schreie des Grauens
und ab diesem Punkt dirigierte eine fremde Kraft ihre Hand und auch ihren Verstand.
Nach etwa einer Dreiviertelstunde, in der Dorian schweigend dastand und zusah, in der Mata sich bemühte, warf das Mädchen den Stift weg und wandte Dorian ihr Gesicht zu. Sie weinte lautlos. Tränen rannen über ihre Wangen.
„Ich habe es versucht", schluchzte sie, „aber ich kann nicht anders. Ich muß es tun."
Dorian bestätigte: „Ich habe es gemerkt. Hören wir mit der Quälerei auf. Komm, hier ist ein Glas! Beruhige dich!"
Er zündete eine ihrer Zigaretten an und schob sie zwischen ihre Lippen.
„Die Wahrheit!" drängte er. „Sage mir alles! Ich liebe dich. Ich werde dir helfen. Aber ich kann nicht helfen, wenn ich nur die Vermutungen habe. Welcher Satan hat Macht über dich?"
Sie stand auf, lehnte sich an ihn, ergriff seine Hand und zog ihn wieder vor das Bild Astartes. Sie bedeutete ihm, sich auf den Teppich zu setzen, und zündete eine Kerze an. Ernsthaft und keineswegs wohlwollend richtete Astarte ihre großen, blicklosen Augen auf Mata und Dorian.
„Ich warte!" erinnerte der Dämonenkiller.
Es war ihm gelungen, bisher seine wahre Funktion nicht enthüllen zu müssen.
„Einen Augenblick! Astarte soll mithelfen", flüsterte Mata.
Sie zog aus einem Fach eine andere Schachtel hervor, die mit kitschigen Darstellungen .fernöstlicher Götter, Helden und Tieren geschmückt war. Nacheinander brannte Mata sieben der dickeren Stäbe an und schichtete sie übereinander in die Messingschale. Der Rauch, der aufstieg, war betäubend, der Geruch war streng und narkotisch.
Ein wilder Zorn erfaßte Dorian Hunter. Ich muß mitspielen, dachte er. Die Lösung des Geheimnisses steht kurz bevor.
„Ich liebe dich, Dorian. Das weißt du. Du weißt, daß ich nicht lüge. Du bist der Mann, von dem ich seit Freds Unfall geträumt habe. Wenn wir dieses Opfer gebracht haben, werde ich dir alles erzählen. Es ist keine schöne Geschichte."
Dorian hustete. Der Rauch dieser höchst speziellen Räucherstäbchen war einschläfernd und betäubend. Er begann zu ahnen, was Mata plante. Er war sicher, daß der Plan ihrer Notsituation entsprang und es einen triftigen Grund geben mußte, weswegen sie ihn schlafend hier zurück lassen wollte. Zurücklassen? Das bedeutete, daß sie die Wohnung verlassen wollte und würde. Wohin rannte sie in ihrer Verzweiflung?
Ich spiele mit, dachte er und gähnte.
„Ich bin gewohnt, häßliche Geschichten zu hören'', sagte er. „Geschichten von versklavten Menschen und bösen Dämonen, von falschen Freunden und schrecklichen, grauenvollen Dingen. Willst du noch nicht sprechen, Renata Maria?"
Sie legte den Finger an die Lippen und flüsterte: „Noch nicht, mein Liebling."
Mata begann zu summen und zu singen, während der Rauch aus der Messingschale immer dichter wurde. Dorian begann mit dem Schlaf zu kämpfen. Immer wieder, wenn Mata nicht in seine Richtung blickte, drehte er den Kopf weg. Mata pendelte hin und her, vorwärts und rückwärts. Auch ihr Singsang war ein Mittel, einen halbwegs willenlosen Menschen einzulullen, einzuschläfern, zu betäuben. Dorian sackte in sich zusammen und fiel seitlich auf den Teppich.
Die Räucherstäbchen gaben ihren betäubenden Qualm ab.
Mata Leyser sang, summte und verdrehte ihren Körper wie ein indischer Fakir.
Dorian ließ sich fallen, breitete die Arme aus und gähnte noch einmal lang und ausgiebig. Dann stellte er sich schlafend. Dabei hatte er Mühe, nicht wirklich einzuschlafen.
Sie wollte ihn in Tiefschlaf versetzen. Sie brauchte offensichtlich Zeit, um etwas zu erledigen oder mit jemandem zu sprechen.
Dorian schloß die Augen, streckte sich aus und begann leise zu schnarchen.
„Dorian!" hörte er ihre Stimme.
Mata rüttelte ihn leicht an der Schulter. Es fiel ihm nicht schwer, darauf nicht zu reagieren.
„He! Dorian! Du schläfst ja! Ich komme gleich wieder. Bleibe hier! Entspanne dich! Ich liebe dich und deswegen muß ich etwas klären. Vielleicht habe ich Glück", flüsterte sie.
Dorian wagte nicht, die Augen zu öffnen. Aber die Geräusche sagten ihm, daß Mata aufstand. Schlüssel klirrten. Er hörte Schritte, die auf den härteren Teppich im Korridor überwechselten. Die Wohnungstür wurde geöffnet und geschlossen. Dann waren die Schritte auf den Treppenstufen.
Er sprang auf, glitt zu dem nächsten Fenster und riß einen Flügel weit auf. Der Rauch zog ab. Dorian atmete tief ein und aus. Der Nebel in seinem Hirn klärte
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