070 - Schreie des Grauens
sehen, wenn diese Tiere an dir herumfummeln."
Der verweste, mit Geschwüren bedeckte Kopf des Wiedergängers wackelte vorwärts und rückwärts. Curt gab einen kreischenden Schrei von sich, als sich die langen Zähne seinem Hals näherten. Dann schmatzte und gurgelte der Untote gierig, zog Curt an sich und biß ihn in den Hals.
Mata fand endlich die Kraft zum Handeln. Sie riß die Tür auf und sprang, so schnell sie konnte, nach draußen. Einmal rutschte sie auf dem Kies und den Fichtennadeln aus, raffte sich aber wieder auf und rannte weiter zur Straße. Sie lief schluchzend und wimmernd auf die gegenüberliegende Straßenseite, stolperte die Böschung hinunter und hetzte auf dem Radweg weiter.
Je länger sie rannte, je mehr sie sich von dem Wagen entfernte, desto klarer wurden ihre Gedanken. Einmal drehte sie sich um. Die Rücklichter des Wagens glühten wie zweiriesige Augen.
Jetzt kannte sie die furchtbare Wahrheit. Der Untote, ihr einstiger Freund, ihre erste große Liebe, verfolgte sie. Wenn sie das Haus verließ, löste er den Bann und verfolgte sie. Wohin sie ging, kam auch später der Wiedergänger, der verweste Leichnam mit der erstaunlichen Lebensenergie. Seit elf Monaten folgte er ihr. Seit dieser Zeit hinterließ er eine grausige Spur von Leichen in seinem Kielwasser.
„Ich kann nicht mehr", hörte sie sich stöhnen.
Sie lief an dem hohen Maschendrahtzaun entlang. Weiter vorn sah sie das Schild einer Omnibushaltestelle.
„Ich halte das nicht mehr aus!"
Atemlos und keuchend, vom Kopf bis in die Kniekehlen mit kaltem Schweiß bedeckt, rannte sie weiter. Ihre Lungen begannen zu stechen.
Hin und wieder raste ein Auto vorbei. Ein Fahrer bremste ab; als sie sich nicht wie erwartet verhielt, fuhr er weiter. Hier draußen war einer der Treffpunkte von Dirnen und ihren Freiern.
Sie mußte zu Dorian. Nur er konnte ihr helfen. Maria Renata stolperte genau in dem Augenblick auf das Haltestellenschild zu, als sich neben ihr die Bustüren öffneten. Sie stieg mit zitternden Knien ein, kaufte einen Fahrschein und ließ sich erschöpft und angewidert auf den nächsten freien Sitz fallen. Für den Augenblick war sie gerettet. Aber ihre Probleme wurden von Tag zu Tag größer. Konnte Dorian ihr wirklich helfen? Allein schon der Umstand, daß er da war und auf sie in ihrer Wohnung wartete, war für sie in ihrem jetzigen Zustand ein Trost.
Es war drei Uhr morgens, als sie ihre Wohnung erreichte und Dorian schlafend fand.
Sie zog sich aus und verriegelte die Wohnungstür. Dann duschte sie lange heiß und eiskalt. Allmählich beruhigte sie sich. Sie goß ein halbes Glas eines Supermarkt-Weinbrandes in ein Glas und ging, ohne sich abzutrocknen, in den Schlafraum.
Die Lampen waren eingeschaltet. Dorian war wach und blickte ihr entgegen. Er saß mit angezogenen Knien da, den Rücken gegen das Kopfende des Bettes gelehnt.
Mißtrauisch fragte er: „Du warst noch draußen, Mata?"
„Ich konnte nicht einschlafen. Ich habe noch einen Spaziergang gemacht", hörte sie sich sagen. Zitternd und aufgeregt schmiegte sie sich an seinen warmen Körper. Dorian hatte nichts gemerkt, dachte sie erleichtert. Aber ihre innere Unruhe ließ sich nicht verbergen.
Der Portier des Hotels beugte sich vor und sagte mit einer dosierten Spur von Mißbilligung in der Stimme: „Mr. Hunter, wir haben drei Anrufe für Sie aus London gehabt. Sagt Ihnen unser Haus nicht zu?"
Dorian nahm den Schlüssel, lächelte kurz, las die Nummer vom Zettel ab und erwiderte: „Ich habe hier eine sehr gute, aber keineswegs alte Bekannte getroffen. Hin und wieder wird es ein wenig spät, und in diesen Fällen möchte ich Ihren Nachtdienst nicht über Gebühr strapazieren."
Jetzt lächelte der Portier, ein ergrauter Mann, voller Verständnis. „Ich bitte Sie, Mr. Hunter."
„Darf ich Sie um eine Gefälligkeit bitten?"
„Gern. Alles, was mir möglich ist."
„Bitte, besorgen Sie mir diese Zeitung, und zwar die letzten fünf Ausgaben! Kann ich ein Mittagessen aufs Zimmer bekommen?"
„Hier ist unsere Karte. Die Zeitungen dauern ein wenig, wie Sie verstehen werden."
Dorian schob diskret einen Zwanzigmarkschein über die Theke, lächelte und fuhr auf sein Zimmer. Dort suchte er sich das Menü zusammen und bestellte es für ein Uhr dreißig. Dann zog er sich ein Polohemd und eine leichte Hose an und setzte sich, ein Glas Bourbon in der Hand, in die Herbstsonne ans geöffnete Fenster.
„Verdammt!" sagte er laut zu sich selbst. „Ich komme nicht
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