070 - Schreie des Grauens
dann lernte sie diesen Fred kennen, gleichzeitig mit Alceste. Beide waren hier. Sie trafen sich alle drei plötzlich hier. Ich erinnere mich noch. Es war nach Mitternacht. Übrigens - diese Alceste - ein widerliches Weib. Eine Mischung aus alter Hexe und einer dieser Woman's-lib-Tante. Und dabei sah sie alle Minuten anders aus. Eine aparte Person, aber böse bis ins Mark."
Dorian hob eine Hand und fragte voll ehrlicher Verwunderung etwas skeptisch: „Sie schildern ziemlich präzise. Sind Sie überzeugt ... Verzeihung, bist du sicher, Gregor, daß es so war? Daß du recht hast?"
Gregor nickte mehrmals. Seine Blicke glitten über die Gläser, die Gäste, die Tische. Etwa dreißig Leute saßen hier. Die Bilder einer Ausstellung dröhnten durch die Bar.
„Ich bin sicher. Sie weint sich bei mir aus. Alle zwei Monate einmal. Seit du mit ihr zusammen bist, lacht sie sogar laut. Ich bin froh."
Eine neue Information. Hier war jemand, der diese geheimnisvolle Freundin kannte und gesehen hatte.
„Sie, verändert alle Minuten ihr Aussehen, Gregor?" fragte Dorian aufgeregt und trank einen großen Schluck.
„Ja. Alceste. Sie war dreimal hier. Beim erstenmal habe ich gedacht, ich bin blau. Einmal hat sie dieses Gesicht, dann sieht sie jünger aus, dann wieder reifer. Niemals ist sie häßlich.
Ich habe es auch an den Händen gemerkt. Ich sage dir, Dorian, wenn du wüßtest, was mir die Hände der Gäste sagen, hier auf dem Tresen ... Jedenfalls solltest du sie von dieser Furie wegbringen."
„Ich werde mein möglichstes tun", versprach Dorian.
So wenig, wie er im Reich der Dämonen und der Schwarzen Magie noch an Zufälle glaubte, so genau wußte er, daß gute Psychologen und gute Barmixer eine Eigenschaft gemeinsam hatten: Sie konnten unheimlich scharf beobachten. Dabei zogen die Barmixer meist die genaueren, weil mehr an der Wirklichkeit orientierten Schlüsse. So auch hier.
„Hör zu, Dorian. Ich kenne dich nicht, aber ich glaube, du bist ein ganz dufter Kumpel. Da ist noch etwas. Seit dieser Fred, übrigens ein netter Typ, sich mit dem Auto um den Baum gewickelt hat, ist sie verändert. Nach dem Begräbnis war sie ruhig und in sich gekehrt. Aber seit Anfang des vorigen Winters ist sie immer in Panik. Verstehst du? Als ob sie plötzlich gemerkt hätte, daß sie an dem Unfall schuld war. Dabei hat er sich - besoffen natürlich - selbst umgebracht. Draußen, in der Freisinger Landstraße, hinter der Autoverwertung."
Der Türsummer schnarrte. Gregor kam hinter der Theke hervor, wechselte einige Worte mit den Gästen und riß die Klappe auf.
„Du wirst schon erwartet, Mata", sagte er so laut, daß Dorian es verstehen mußte.
Er würde über diese Unterhaltung schweigen. Dorian wechselte mit Anmoser einen verständnisvollen Blick, als er die Tür öffnete.
Mata kam schwungvoll herein, schwang sich auf den Hocker und küßte Dorian auf den Mund, „Schön, mein Liebling", sagte er, hin und her gerissen zwischen der Freude, sie zu sehen, und der Absicht, ihr seinen Ärger ins Gesicht zu schleudern. „Schön, dich zu sehen. Mendoza?"
Sie strahlte ihn an, ehrlich und offen.
„Du bringst mir richtig Kultur und Lebensart bei, nicht? Ja, einen doppelten, bitte! Servus, Gregor! Habt ihr euch über mich unterhalten?"
Gregor lachte dröhnend.
„Wir hatten interessantere Dinge zu tun. Außerdem ist der Laden bumsvoll, Liebling."
Dorian wartete, bis sie sich beruhigt hatte. Sie rauchten eine Zigarette, tranken den ungewöhnlichen Cognac und unterhielten sich über Belanglosigkeiten.
Endlich beugte sich Dorian vor, küßte Mata aufs linke Ohr und fragte: „Warum belügst du mich eigentlich? Macht es wenigstens Spaß?"
Ihr Kopf zuckte in die Höhe. Sie starrte ihn verblüfft an und fragte heiser zurück: „Was meinst du? Wie meinst du das?"
Dorian erwiderte mit erzwungener Ruhe: „Ich habe heute die Folgen deiner Comicsstory gesehen.
Es waren ganz andere Bilder als die, die wir beide zusammen gezeichnet haben."
Sie schien damit gerechnet zu haben, daß er es früher oder später merkte.
„Ich bin sicher, daß du mir nicht glaubst", sagte sie aufgeregt. „Ich kann nichts dafür. Es ist wie Hypnose. Ich zeichne mit dir zusammen dies, und dann befiehlt mir jemand oder etwas, alles umzuzeichnen. Meine Finger gehorchen mir nicht mehr, Dorian. Weiß du, du solltest mehr Menschenkenntnis haben. Ich will das nicht. Meine echten Gefühle für dich - du kennst sie. Wir lieben uns jede Nacht. Das sind meine richtigen
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