0700 - Aphilie
Dicken.
Trailokanat aber richtete sich plötzlich schnurgerade auf, so daß er eine halbe Handbreit zu wachsen schien. Der selbstgefällige Ausdruck seines schwammigen Gesichts war verschwunden.
„Hier ist nicht der Platz, um über Borneo zu sprechen, mein Bruder", stieß er hastig hervor. „Ihr beide kommt am besten mit mir!"
Er führte sie durch die Tür, durch die er gekommen war, in einen kurzen Gang, in den von rechts und links weitere Türen mündeten. Das Ende des Ganges schien dagegen aus einem Stück solider Mauer zu bestehen. Erst als Trailokanat vor das Gangende hintrat und ein paar unverständliche Worte murmelte, stellte sich heraus, daß die Wand in Wirklichkeit eine verkappte Tür war. Der Gang setzte sich dahinter fort und mündete nach etwa acht Metern in einem quadratischen, behaglich ausgestatteten, fensterlosen Raum, der von altmodischen siamesischen Lampen mit einem angenehmen Licht erfüllt wurde.
Trailokanat ließ seine Besucher auf einer bequemen, weich gepolsterten Bank Platz nehmen. Er offerierte Drinks, die Sylvia und Sergio jedoch vorerst ablehnten, weil sie noch immer nicht wußten, was sie von dem Thailänder zu halten hatten, und weil es so kinderleicht war, dem Getränk irgendeine Droge beizumengen. Trailokanat lächelte nur, als er die Ablehnung zur Kenntnis nahm. Das durfte nicht verwundern. Unter Aphilikern galt ein Lächeln zwar als ein Ausdruck des „Mangels an rationaler Selbständigkeit", aber man hatte auch regionale Gewohnheiten zu berücksichtigen. Unter Asiaten war das Lächeln daher noch immer ein zulässiger Gesichtsausdruck.
„Ihr wollt also nach Borneo, Bruder und Schwester?" eröffnete Trailokanat mit seiner unnatürlich hohen Stimme die Unterhaltung. „Wie kommt ihr auf den Gedanken, daß ich euch dabei helfen könnte?"
„Man hat uns in Teheran deinen Namen genannt, Bruder", antwortete Sergio.
„Aha!" machte der Thailänder und nickte gewichtig. „Dort gibt es eine starke Kolonie der Immunen." Plötzlich sah er auf und musterte Sergio scharf. „Ihr seid auch Immune?"
„Nein", antwortete Sergio, ohne mit der Wimper zu zucken.
Trailokanat neigte den Kopf.
„Ich begreife, daß du dich nicht preisgeben darfst, Bruder. Aber wie kannst du mir beweisen, daß du nicht ein Agent der Staatspolizei bist?"
„Die Staatspolizei sucht nach uns", gestand Sergio. „Wenn du Beziehungen hast, wirst du in Erfahrung bringen können, daß wir gestern aus dem Hauptquartier ausgebrochen sind."
Abermals nickte Trailokanat.
„Ich glaube dir, Bruder. Ich will euch beiden daher helfen, nach Borneo zu kommen. Unter einer Bedingung!"
„Welche ist das?"
„Ihr rezitiert ,das Buch' und erlaubt mir, den Text aufzuzeichnen."
Sergio sprang auf.
„Woher weißt du ...?!"
Trailokanat machte eine beschwichtigende Geste.
„Errege dich nicht, Bruder!" riet er milde. „Denn durch Erregung beweist du, daß du ein Immuner bist. Im übrigen laß dich informieren, daß ich gute Beziehungen nach Teheran besitze. Ihr beide seid mir avisiert worden, und ich weiß, daß ihr ,das Buch' in euch tragt."
Sergio wandte sich mit einem fragenden Blick an Sylvia.
„Ihr braucht euch nicht sofort zu entscheiden", bot Trailokanat an. „Ihr seid meine Gäste. Dieser Raum steht euch zur Verfügung. Ich gehe. In einer Stunde kehre ich zurück. Dann laßt ihr mich wissen, wie ihr euch entschlossen habt."
„Und wenn wir auf dein Angebot nicht eingehen?" fragte Sylvia hastig.
Trailokanat zuckte mit den Schultern.
„Dann könnt ihr gehen, wohin ihr wollt."
*
Nach fünfundvierzig Minuten angestrengten Überlegens und Debattierens waren Sylvia und Sergio sich noch immer nicht darüber einig, ob man Trailokanat trauen dürfe oder nicht. Sergio war der Ansicht, er sei ein habgieriger Geschäftemacher, der sie der Staatspolizei überantworten werde, sobald er den Text „des Buches" aus ihnen herausgeholt hatte. Sylvia dagegen meinte, er sei ein verkappter Immuner. „Das Buch" war, wenn seine Echtheit sich garantieren ließ, trotz der Maßnahmen der Regierung noch immer Tausende von Solar wert. Aber selbst abgesehen von dem Wert, den die Aufzeichnung darstellte, mußte Trailokanat nach Sylvias Ansicht als Immuner generell an der Verbreitung „des Buches" interessiert sein.
Schließlich kamen sie überein, auf Trailokanats Angebot einzugehen. Sie würden den Text „des Buches" rezitieren, hier, in diesem Raum. Sergio würde dabei den Blaster, den er erbeutet hatte, schußbereit
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