0700 - Assungas Zaubermantel
haben Sie recht gehabt, Kyle. Es war Lilith, die sie angriff.«
»Das wußte ich doch«, sagte er stotternd, wobei er ständig seine Hand anschaute, den Kopf schüttelte, als könne er nicht glauben, was ihm widerfahren war.
In diesem Augenblick erst begriff er die Tragweite dessen, was geschehen war, Kyle, dieser massige Mann, fing an zu zittern. Er bewegte sich dabei so stark, daß selbst der Sessel schwankte, und er schluchzte auf, daß er mir leid tat.
»Ihre…«
»Die Hand, die Hand…«, flüsterte er. »Sie … sie ist weg, verdammt! Meine Hand ist weg!« Ein greller Schrei löste sich aus seiner Kehle, als würde tief in seinem Rachen Metall über Metall kratzen.
Diesen Laut hätte auch eine Frau ausstoßen können.
Ich ließ ihn in Ruhe. Er mußte einfach Zeit haben, um sich an den neuen Zustand zu gewöhnen, und ich zündete mir eine Zigarette an.
Mit dem brennenden Glimmstengel in der Hand trat ich ans Fenster und schaute hinaus in die schmale Straße und gegen die Scheiben der Häuser auf der anderen Seite.
Von Suko sah ich nichts. Der verkehr rollte normal. Nichts wies darauf hin, daß Lilith ihre Macht ausspielte und auch außerhalb des Hauses versuchen würde, die Menschen zu manipulieren. Aber sie war da, das hatte sie uns bewiesen, und ich glaubte fest daran, daß dieser Kampf noch längst nicht beendet war.
Ich wollte Kyle noch eine gewisse Zeit geben, um sich von dem Schock zu erholen, denn zeit seines Lebens würde er mit dieser verunstalteten Hand herumlaufen müssen. Ein Zeichen, das die Große Mutter gesetzt hatte. Er hatte sich auf ihre Seite gestellt und bitter dafür büßen müssen.
Auf der Fensterbank stand eine Schale, in die Asche hineinschnippte und in der ich auch anschließend meine Zigarette ausdrückte. Dann drehte ich mich um.
Kyle war zusammengesunken. Den Kopf hatte er nach vorn gedrückt. Ich konnte nicht erkennen, ob er die Augen geöffnet oder geschlossen hielt. Seine Schultern allerdings zuckten, der Mann weinte lautlos. Als er meine Schritte hörte, hob er den Kopf.
Wir schauten uns an.
»Sinclair«, flüsterte er, bevor ich beginnen konnte. »Sinclair, es ist alles vorbei.«
»Nein.«
Scharf lachte er mich an. Bevor er weitersprechen konnte, redete ich. »Es ist nicht alles vorbei, Kyle. Sehen Sie es ruhig mal anders. Hätte die magische Verletzung nicht im Prinzip schlimmer sein können? Denken Sie nach. Sie wären doch ständig mit einer verunstalteten Hand umhergelaufen. Sie hätten sich immer gefürchtet, die Wunde wäre nie verheilt, sie hätte genäßt, eventuell wären wieder andere Käfer und Würmer aus ihr herausgetreten und hätten für ständig neue Entzündungen gesorgt. Sehen Sie es lieber so.«
»Aber meine Finger…«
»Sie werden sich irgendwann daran gewöhnen, daß sie nur die linke Hand benutzen können. Erinnern Sie sich daran, wie Sie mich im Güterwaggon ausgelacht und mir erklärt haben, daß ich Ihnen nichts kann. Jedes Gericht würde Sie freisprechen. Damit wären Sie bestimmt durchgekommen. Was ich damit sagen will, ist, daß jeder Mensch irgendwann in seinem Leben den Preis für seine Taten zahlen muß. Und Sie, Kyle, haben heute gezahlt. Möglicherweise erst einen Teil der Rechnung, so ehrlich will ich Ihnen gegenüber sein.«
Er erschrak. »Denken Sie, daß Lilith noch einmal zuschlagen wird? Glauben Sie das?«
»Wir müssen mit allem rechnen. Deshalb sollten Sie über eine Zusammenarbeit mit mir nachdenken.«
»Und dann schützen Sie mich, wie?«
»Lassen Sie den Hohn. Ich kann es Ihnen nicht versprechen, aber ich kann es versuchen.«
»Das haben Sie hier auch nicht geschafft!« Er hielt mir seine Hand anklagend entgegen.
»Bitte, Kyle, denken Sie nach. Mein Kreuz hat die Heilung gefördert. Alles wäre anders gewesen, glauben Sie mir. Ich an Ihrer Stelle würde zunächst abwarten.«
Er nickte und kam wieder auf die Zusammenarbeit zu sprechen.
Nachdem er das Wort einige Male wiederholt hatte, wollte er wissen, wie ich sie mir vorstellte.
»Es geht noch immer um Assunga und ihr Verschwinden. Ich weiß, wen sie besuchen will. Ich kenne diesen Vampir. Er gehört zu meinen Todfeinden, und ich muß ihn stoppen. Wenn ich weiß, wo sich Assunga befindet, habe ich auch ihn.«
Der Mann holte tief Luft. Er leckte mit der Zunge über seine Oberlippe.
»Ich war nur Helfer«, flüsterte er, »man hat mich nicht eingeweiht. Ich habe dafür gesorgt, daß Assunga erweckt wurde. Heute sehe ich das anders, aber ich bin nicht
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