0700 - Assungas Zaubermantel
Wände geben. Wenn sie will, kann sie einen Menschen vernichten, wo immer er sich auch aufhält.«
Er schloß seine linke Hand zur Faust. Am Zucken des rechten Armes sah ich, daß er es dort auch getan hätte, aber diese Hand fehlte ihm nun einmal, und er stieß einen Fluch aus.
»Ich gehe nicht zu euch. Ich werde aus London verschwinden. Ich lasse die Stadt hier im Stich.«
»Haben Sie Bekannte, Kyle?«
Er winkte ab.
»Gut, es ist Ihre Entscheidung. Packen Sie trotzdem zusammen. Ich werde Sie dann wegbringen.«
»Ja«, sagte er, »ja.« Dann ging er weg, und ich hörte sein Fluchen noch aus dem anderen Zimmer. Kyle brauchte nur Minuten, bis er mit dem Koffer in der Hand wieder auf der Türschwelle stand und mir zunickte. »Meinetwegen können wir jetzt verschwinden.«
»Und wohin soll ich Sie bringen, Kyle?«
»Darüber denke ich unterwegs nach.«
»Wie Sie wollen, Kyle.« Ich hielt ihn fest, als er zur Haustür gehen wollte.
»Was haben Sie?«
»Darf ich vorgehen?«
»Bitte.«
Wir schritten durch den düsteren Flur. Das Licht im Wohnraum hatte ich gelöscht. Wenn ich ehrlich war, gab ich ihm nicht viele Chancen. Lilith war gnadenlos, wenn es darum ging, ihre Ziele zu verfolgen, und sie war ebenso brutal, wenn sie eine Rache verwirklichen wollte. So sahen die Tatsachen aus, und daran gab es nichts mehr zu ändern.
Ich öffnete die Tür und hörte Schritte, die sich allerdings entfernten.
Über die Schulter sprach ich in den Flur hinein, wo mein Schützling noch wartete. »Die Luft ist rein, kommen Sie!« Ich ging schon vor, erreichte die Treppe und blieb stehen, weil ich hinter mir die Schritte des Mannes nicht hörte.
Ein wenig verwundert drehte ich mich um.
Kyle stand auf der Türschwelle. Seine mächtige Gestalt zitterte.
Die Gesichtshaut wirkte so bleich wie mit dünnem Mehl bestäubter Teig. Er holte saugend Luft, und auf der Stirn glänzte der Schweiß wie ein matter Spiegel.
»Was haben Sie?«
Er holte zweimal Atem. »Ich… ich kann nicht gehen, verdammt. Ich werde keinen Schritt tun.«
»Und warum nicht?«
Diesmal schluckte er vor seiner Antwort. »Ich weiß es genau, Sinclair, ich weiß es genau. Sie will mich in der Wohnung lassen. Wenn ich den Flur betrete, komme ich nicht lebend aus dem Haus. Das… das spüre ich genau …«
***
Suko gehörte eigentlich zu den geduldigen Menschen, aber die Suche nach einem Parkplatz in diesem Viertel strapazierte seine Geduld bis an die Grenze.
Er fand einfach keine Lücke, in die er den Rover hineinfahren konnte, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als den Block mehrmals zu umkreisen. Möglicherweise stand ihm dabei das Glück zur Seite, wenn ein Wagen aus der Parktasche herausgefahren wurde.
Bei der vierten Tour – einigen Menschen war er schon aufgefallen – sah er dann die Lücke.
Ein grauer Kombi mit der Aufschrift einer Elektrowerkstatt rollte rückwärts auf die Straße, wo Suko den Rover angehalten hatte und den nachfolgenden Verkehr für den Mann stoppte, damit er seinen Wagen auf die Fahrbahn lenken konnte.
Wenig später hatte Suko freie Bahn. Er rollte in die Lücke hinein und stoppte.
Als er ausstieg hupte jemand hinter ihm. Der Fahrer trug einen Hut und saß in einem blauen Chevrolet. Er gestikulierte mit beiden Händen, drohte mit der Faust und tat so, als hätte Suko ihm den Parkplatz weggenommen.
Der Inspektor schritt auf den Chevy zu, dessen Fahrer die Scheibe nach unten gleiten ließ.
»Habe ich Ihnen etwas getan?« fragte Suko höflich.
»Da fragen Sie noch! Ich habe den Platz zuerst entdeckt, verdammt noch mal!«
»Sorry, aber…«
»Hör auf, Chinese…«
Suko schloß demonstrativ die Augen. Wieder mußte er erleben, wie stark der Rassismus noch in manchem Bewohner dieser Stadt steckte. Er wollte sich auf keine Diskussionen einlassen, griff in die Tasche und präsentierte dem Man seinen Ausweis.
»Die nächsten Worte überlegen Sie sich aber besser«, sagte er leise.
Der Mann schwieg.
Dann summte die Scheibe mit einem leisen Geräusch wieder in die Höhe. Hastig startete der Fahrer, und Suko mußte sogar zurückspringen, um nicht gestreift zu werden.
Kopfschüttelnd schaute er dem Fahrzeug nach, das in einer Wolke aus Sprühregen verschwand. Die Vorurteile der Menschen sterben wohl nie aus.
Bis zu seinem Ziel hatte Suko noch einige Schritte zu laufen. Seiner Ansicht nach hielt sich John Sinclair bereits sehr lange bei Kyle auf, den Suko ebenfalls kannte und entsprechend einschätzte. Kyle war
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