0702 - Das Stummhaus
anderen einen Vorwurf machen.
Dabei hätte es sich auf dem Plateau so gut leben lassen."
„Auch ohne Gewehr!" fügte er hinzu.
„Du hast recht. Es war dumm von mir."
„Noch dümmer war die Geschichte mit der verlassenen Siedlung." Er sah sie an. „Aber da gibt es noch eine viel dümmere Sache, wie du weißt. Kervin Caughens ist, wie der Polizeichef soeben bestätigt fand, bereits im Stummhaus. Ich bin überflüssig."
„Rede doch keinen Unsinn! Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß er dich laufenläßt, bloß weil ihm ein Irrtum unterlaufen ist?
Du mußt ihm die Geschichte deiner Flucht aus diesem Gefängnis schildern."
„Dann erwischen sie den Mann, der mir geholfen hat."
Sie nickte und dachte nach.
„Stimmt auch wieder", gab sie schließlich zu. „Aber es wird besser für uns alle sein, wir überlassen die Entscheidung dem Polizeichef. Wenn er seinen Fehler vertuschen will, müssen wir ihm dabei helfen. Allerdings werde ich dann allein ins Stummhaus gehen müssen und mit deinem Doppelgänger vorlieb nehmen. Ich möchte ihn gern sehen."
„Rede keinen Unsinn, Kathleen. Er wird mich nicht laufenlassen können, ohne sich eines Verbrechens gegen die Staatsordnung schuldig zu machen. Man wird uns beide nach Melbourne bringen."
„Und dort? Was tun die mit zwei Kervins?"
„Keine Ahnung. Wir können nur abwarten..."
*
In seinem Büro schaltete der Polizeichef die Abhöranlage ab und lehnte sich in seinen Sessel zurück. Auf seiner Stirn war eine steile Falte. Er dachte angestrengt über das nach, was er gehört hatte.
Man hatte ihn also in der vergangenen Woche hereingelegt.
Jemand hatte Kervins Persönlichkeit angenommen und sich freiwillig ins Stummhaus bringen lassen.
Aber warum?
Darauf gab es nur eine Antwort: der freiwillige Doppelgänger mußte zu einer Gruppe von Untergrundlern gehören, die das Geheimnis der Stummhäuser lüften wollten.
Und er war unfreiwillig ihr Komplize geworden.
Sollte er die Angelegenheit vertuschen oder Farbe bekennen, ehe Schlimmeres geschah? Vielleicht konnte man ihm sein Vergehen, das eigentlich keins war, verzeihen.
Der Transporter ging morgen.
Bis dahin hatte er Zeit, es sich genau zu überlegen.
Auf der anderen Seite würde er ein Risiko eingehen, denn wenn auch nur einer der beiden Alten den Mund aufmachte, war er verloren, in doppelter Hinsicht sogar. Da war es noch immer besser, den Unwissenden zu spielen und ihnen den richtigen Caughens einfach zu schicken. Vielleicht bemerkten sie den Irrtum überhaupt nicht.
Er wußte, daß es eine sehr schwache Hoffnung war, auf die er sich da verließ ...
8.
Als Vester Brackjon sieben Tage im Stummhaus war und noch immer keinen realisierbaren Fluchtplan gefaßt hatte, starb einer der alten Männer in seinem Wohnraum.
Er hatte kurz zuvor über Schmerzen geklagt, und jemand war gekommen, um nach ihm zu sehen. Kurz danach hatte man ihn zur Untersuchung abgeholt und einige Stunden später wieder zurückgebracht.
Er lag im Bett, aber niemand kümmerte sich um ihn, obwohl er immer noch Schmerzen hatte.
Vester ging zu ihm und setzte sich auf seinen Bettrand.
„Nun, was haben sie gesagt, Verdas?"
Der Alte verbarg seine Verwunderung darüber, daß ihn jemand danach fragte. Er stöhnte leise. Vester konnte kaum verstehen, was er erwiderte.
„Ich werde sterben, aber sowohl die Leber als auch das Herz sind gesund. Damit kann ich zwei Organe spenden, nicht nur eins."
Vester überwand seine Abscheu vor den Methoden und nickte.
„Du bist froh darüber?"
„Natürlich - ich leiste einen großen Dienst. Ich bin sogar stolz, wenn du es genau wissen willst..."
„Du bist ein gutes Mitglied unserer Gesellschaft", bestätigte ihm Vester, obwohl sich ihm bald der Magen umdrehte. „Wie lange bist du schon hier?"
„Seit elf Jahren, und ich habe es immer gut gehabt. Nun darf ich endlich meine Schulden bezahlen."
Vester mußte vorsichtig sein, um sich nicht zu verraten.
„Ich bin erst neu hier, weiß du ... ich weiß noch nichts darüber.
Weil ich mich auch nie darum gekümmert habe. Warum klärt man uns nicht über unsere Pflichten auf?"
Der Alte schien froh darüber zu sein, mit jemandem sprechen zu können.
Jeden Monat gibt es einen indoktrinierenden Unterricht. Er muß in einigen Tagen wieder stattfinden. Aber dann werde ich nicht mehr dabei sein."
„Sie haben dich zur Untersuchung geholt. Warum tut man nichts, um dich zu heilen?"
Der Alte lag in seinen Kissen und hielt die Augen
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