0702 - Das Stummhaus
hatte sie auch keine Spuren entdecken können. Hier war seit Jahren kein Mensch mehr gewesen.
Sie fand ein noch gut erhaltenes Haus und sogar ein Bett, auf dem sie sich ausstreckte. Bevor sie einschlief, kam ihr noch der Gedanke, ob es nicht besser sei, das Plateau und die Höhle mit dem Dorf einzutauschen, wo es sich sicherlich besser leben ließ.
Aber dann sagte sie sich, daß man im Gebirge sicherer war.
Wie recht sie damit hatte, zeigte ihr der nächste Tag.
Die Gleiterpatrouille war gelandet, noch ehe sie aufwachte. Die Männer waren ausgeschwärmt, hatten das Dorf umstellt und gingen von allen Richtungen auf es zu. Niemand, der sich in den Häusern versteckt hielt, würde ihnen entkommen.
Kathleen hörte sie sprechen und blieb ganz ruhig liegen. Es konnten immer noch andere Flüchtlinge sein, die ebenfalls aus ihren Verstecken in den Bergen kamen, um Früchte oder Gemüse zu sammeln. Sie würden ihr nichts tun, denn sie befanden sich in der gleichen Lage wie sie.
Doch dann, als sie aufstand und aus dem Fenster sah, erblickte sie die Uniformen und die Suchgeräte.
Da wußte sie, daß sie verloren war.
Kervin hatte sie nicht verraten, also würde sie auch ihn nicht verraten. Wenn er klug war, blieb er bei der Höhle und suchte sie nicht. Sie würden ihn dort nicht so schnell finden.
Entschlossen trat sie vors Haus und rief den Männern zu: „Wenn ihr mich sucht - hier bin ich!"
Sie registrierte ihre Verblüffung mit einer gewissen Genugtuung. Aber dann kamen sie auf sie zu und nahmen sie fest, indem sie ihr Handschellen anlegten.
„Ich laufe euch nicht mehr davon", sagte sie. „Bringt ihr mich zurück nach Melbourne?"
„Name?"
Sie reichte ihnen wortlos die Einweisung ins Stummhaus, die von den Männern gelesen und mit einer Liste verglichen wurde.
Dann nickte einer von ihnen.
„Richtig, Kathleen Toaklander. Stummhaus Nr.23 in Melbourne.
Sie wissen nicht zufällig, wo Kervin Caughens steckt? Er sollte sich am gleichen Tag wie Sie dort melden, kam aber nicht."
„Sie scheinen wenig Kontakt mit den hiesigen Polizeistationen zu pflegen", machte Kathleen den Versuch, sie von Kervin abzulenken. „Er wurde vor einigen Tagen gefaßt und nach Terence gebracht. Fragen Sie dort mal nach."
„Das werden wir auch. Man bringt Sie übrigens auch zuerst nach Terence. Von dort geht in den nächsten Tagen ein Sammeltransport. Wir nehmen an, es halten sich noch mehr Flüchtlinge in den Bergen versteckt. Los, steigen Sie ein!"
Im Gefängnis von Terence sperrte man sie in eine Einzelzelle, löste die Handfesseln und gab ihr zu essen. Dann ließ man sie allein.
Der Polizeichef bestätigte, daß ein gewisser Kervin Caughens bereits vor einigen Tagen nach Melbourne gebracht worden sei.
Sein Name wurde von der Liste des Suchkommandos gestrichen.
Dann startete der Gleiter wieder und flog zu den übrigen zurück, die ihre Aktion fortsetzten.
Kathleen saß in ihrer Zelle und versuchte, Sinn in das Ganze zu bringen. Kervin hatte sie also nicht belogen. Er war tatsächlich von einem Doppelgänger befreit worden, der seine Stelle einnahm. Aber was sollte das alles bedeuten? Warum begab sich jemand freiwillig für einen anderen ins Stummhaus, wenn er die Aufforderung noch nicht erhalten hatte?
Aber aus welchen Motiven auch immer es geschehen war, es würde zweifellos zu Komplikationen kommen, wenn man Kervin wirklich erwischte und im Stummhaus Nr. 23 plötzlich Kervin Caughens doppelt vorhanden war.
Am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft in Terence wurde sie dem örtlichen Polizeichef vorgeführt, der einige Routinefragen stellte und ein Formular ausfüllte. Das alles ging ziemlich glatt über die Bühne, so als würden jeden Tag alte Leute gefangen, die sich vor der Einlieferung ins Stummhaus drücken wollten.
Wieder verbrachte sie eine Nacht im Gefängnis, und am dritten Tag ihrer Gefangenschaft wurde sie am späten Nachmittag abermals geholt. Der Polizeichef machte einen etwas verwirrten Eindruck. Er deutete auf einen Stuhl.
„Setzen Sie sich, Kathleen Toaklander. Es ist etwas geschehen, das ich nicht begreife, und ich glaube, es muß ein Irrtum vorliegen. Sie selbst sollten jetzt die Wahrheit sagen, das erleichtert mir meine Aufgabe und kann das Rätsel vielleicht lösen."
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden."
Der Polizeichef deutete auf einige Akten und zuckte hilflos die Schultern.
„Ich weiß bestimmt, daß ich nicht verrückt bin, und ich weiß auch, daß in der Stadt moderne Erfassungsmethoden
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