0702 - Das Stummhaus
lähmen drohte. Hundert ·Vermutungen schossen ihm durch den Kopf, aber nur eine von ihnen konnte zutreffend sein. Es war klar, daß die Frau ihn für Kervin Caughens hielt, dessen Rolle er nun seit mehr als einer Woche spielte. Es war besser, sie in diesem Glauben zu lassen - vorerst wenigstens.
„Ja, ich habe ein Bett. Und du?"
„Hier im Gang, das letzte Zimmer links. Komm mit, ich zeige es dir, dann kannst du mich besuchen. Es ist doch nicht ganz so schlimm hier, wie wir uns das vorgestellt haben. Findest du nicht auch. Kervin?"
„Doch, doch." Wenn er nur ihren Namen wüßte! Er hätte den richtigen Kervin danach fragen müssen, fiel ihm ein, allerdings zu spät. „Wir werden uns oft sehen."
Sie ging voran, er folgte ihr. Man konnte sich gegenseitig besuchen, das war nicht verboten. Bei der Alten handelte es sich um eine Bekannte von Kervin, das war klar. Wann hatten sie sich das letzte Mal gesehen? Sie konnte nichts von dem Tausch wissen, denn er war von Terence aus sofort in Melbourne eingeliefert worden, und die alte Frau konnte erst mit dem heutigen Transport eingetroffen sein.
„Dort ist mein Bett, Kervin." Sie betrachtete ihn aufmerksamer.
„Was haben sie mit dir gemacht? Du siehst verändert aus. In den paar Stunden kannst du doch nicht jünger geworden sein ...?"
In den paar Stunden?
Hastig sagte Vester: „Das macht das Licht. Ich werde dich morgen hier besuchen.
Versuche, dich inzwischen einzuleben."
Sie sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Dann hatte Vester den Hauptkorridor erreicht und ging schneller, um niemandem mehr zu begegnen. Wenn sie den richtigen Kervin wirklich eingefangen und heute hier eingeliefert hatten, konnte es nur noch eine Frage von Stunden sein, bis man den Betrug bemerkte.
Er lag mit geschlossenen Augen auf seinem Bett und versuchte nachzudenken. Im Stummhaus Nr. 23 gab es nun zwei Männer mit dem Namen Kervin Caughens, und sie sahen aus wie Zwillinge. Selbst die alte Frau hatte keinen Unterschied feststellen können, wenigstens keinen bemerkenswerten. Aber sicherlich mußte die Verwaltung des Stummhauses den Doppelgänger registrieren. Spätestens morgen bei der medizinischen Überprüfung.
Vester spürte, wie sich die Schlinge immer fester um seinen Hals legte. Er mußte sie abstreifen, ehe es zu spät war.
Als das Licht endlich gelöscht wurde, was nicht immer geschah, kroch er unter die Decke. Er flüsterte in das Zahnmikrophon: „Ich melde mich zum letzten Mal, denn die Entdeckung ist unausbleiblich. Morgen versuche ich zu fliehen: Ich gebe noch einmal einen ausführlichen Bericht über die Verhältnisse in Stummhaus 23, Melbourne ...
*
Kervin Caughens fiel aus allen Wolken, als er Kathleen am anderen. Vormittag begegnete und sie sagte: „So, und nun zeigst du mir, wo du wohnst. Wo mein Quartier ist, weißt du ja von gestern. Komm!" Sie betrachtete ihn. „Heute siehst du wieder besser aus, Kervin."
Er starrte sie an.
„Gestern? Ich sehe dich heute zum ersten Mal hier, Kathleen."
Sie begriff sofort, was geschehen war.
„Der Mann, der dich aus dem Gefängnis von Terence holte!
Natürlich, er war es! Komm, wir müssen ihn finden!"
Er schüttelte den Kopf.
„Warum denn? Übrigens holen sie uns gleich zur Untersuchung."
Sie lehnte sich gegen die kalte Betonmauer.
„Dann ist er verloren, denn es kann nicht unbemerkt bleiben, daß es zwei Caughens gibt, Kervin. Oder du bist erledigt, denn sie wissen nicht, welcher der echte ist. Auf jeden Fall ist einer von euch zuviel vorhanden."
„Was soll ich denn machen?"
„Wenn ich das nur wüßte...!"
Für zwei Aphiliker war es erstaunlich, daß sie den Funken der Dankbarkeit noch fühlten, der in ihrem Innern glühte. Vielleicht lag das an der Tatsache, daß die Erinnerung an die alte Zeit noch nicht völlig erloschen war. Sie wollten einem Fremden helfen, aber sie konnten doch nichts anderes tun, als ihn nicht zu verraten.
Wenig später holte man sie zur Untersuchung ab.
Vester, der durch den Türspalt blickte, erkannte Kervin auf den ersten Blick. Er ging neben der alten Frau, die ihn gestern angesprochen hatte. Ob sie ihren Irrtum inzwischen bemerkt hatte? Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit durch zwei uniformierte Männer abgelenkt, die sich an den Alten vorbeidrängten und den Korridor betraten. Sie gingen langsam weiter, und der eine von ihnen studierte dabei einen Zettel mit Aufzeichnungen, die Vester nicht sehen konnte.
Sie kamen auf seine Tür zu.
Hastig schloß er sie und legte
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