0702 - Das Stummhaus
üblich sind. Aber meine Unterlagen sagen einwandfrei aus, daß ein gewisser Kervin Caughens in der vergangenen Woche aufgegriffen und nach Melbourne ins Stummhaus transportiert wurde." Er sah sie an. „Sie können ihm nicht mehr schaden, wenn Sie die Wahrheit sagen, Kathleen Toaklander. Waren Sie mit ihm zusammen, als Sie flohen?"
Sie nickte.
„Wir beschlossen, gemeinsam zu fliehen, aber dann trennten wir uns. Soweit ich weiß, wurde er geschnappt und nach Terence und später nach Melbourne gebracht. Ich verstehe nicht, warum Sie jetzt so ein Theater wegen der Geschichte machen."
„Das will ich Ihnen verraten: Kervin Caughens ist vor einer Stunde bei derselben verlassenen Siedlung gefangengenommen worden, in der man auch Sie aufgriff. Haben Sie dafür eine Erklärung?"
Also hatten sie ihn doch erwischt. Er war ihr gefolgt und der Suchpatrouille in die Arme gelaufen. Und die phantastische Geschichte, die er ihr erzählt hatte, schien wahr gewesen zu sein.
Demnach gab es zwei Caughens - der eine saß seit Tagen im Stummhaus Nr. 23 vom Melbourne, und der andere befand sich seit einer Stunde in den Händen der Polizei.
„Nein, ich habe keine Erklärung", gab Kathleen zu.
„Sie bringen ihn hierher. Ich werde ihn selbst fragen. Sie können zurück in Ihre Zelle."
„Darf ich Kervin später sehen?"
„Ich denke schon."
*
Die Suchpatrouille hatte nur die einzige Aufgabe, dem Stummhaus entflohene Männer und Frauen in der Wildnis aufzuspüren und bei der zuständigen Polizeibehörde abzuliefern, die für ihren Rücktransport in den jeweiligen Bezirk sorgte. Mit Bürokratie hatte sie nicht viel zu tun. Ihr war es auch egal, ob es nun zwei oder nur einen Kervin Caughens gab.
Sie übergab ihren Gefangenen und flog wieder davon.
Damit hatte der Polizeichef sein Problem und mußte sehen, wie er damit fertig wurde.
Er ließ Kervin vorführen.
Lange betrachtete er ihn, dann schüttelte er den Kopf.
„Ich habe Sie nach Melbourne transportieren lassen, Caughens. Wie ist es möglich, daß Sie abermals entfliehen konnten? Mir liegt keine entsprechende Meldung vor."
Kervin hatte beschlossen, den Ahnungslosen zu spielen.
Seinem unbekannten Retter konnte er nicht mehr helfen, wenn der Schwindel mit dem Tausch herauskam, aber er wollte ihn auch nicht belasten.
„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Es ist heute das erste Mal, daß ich vor Ihnen stehe. Bis vor zwei Stunden habe ich mich in Freiheit befunden. Ich bin noch nie in diesem Gefängnis gewesen. Ich glaube, es liegt ein Irrtum vor."
„Unmöglich! Ich erkenne Sie wieder. Sie wurden von einem Kaff gebracht, das im Osten liegt, und dann mit dem Transporter nach Melbourne gebracht. Ich habe selbst Ihre Einweisung ins Stummhaus gesehen und abgefertigt. Und nun stehen Sie vor mir. Das ist unbegreiflich."
„Mir ist das auch unbegreiflich", gab Kervin zu.
Der Polizeichef legte die Hand auf die Wählscheibe des Visiphons.
„Setzen Sie sich dort auf den Stuhl, aber so, daß Sie nicht von der Kamera erfaßt werden können. Wir werden das Stummhaus Nr. 23 um eine Auskunft bitten."
Kervin setzte sich und sagte nichts. Er mußte den Dingen ihren Lauf lassen, denn aufhalten konnte er sie nicht mehr. Wenn er redete, würde er die Sache für den Unbekannten nur noch schlimmer machen.
Der Polizeichef bekam die gewünschte Verbindung und verlangte die Verwaltung des Stummhauses. Dann fragte er: „Vor sechs Tagen schickte ich Ihnen einen gewissen Kervin Caughens mit der Einweisung. Ich möchte wissen, ob er vorschriftsmäßig eingeliefert wurde."
Er wußte, daß eine solche Frage mehr als ungewöhnlich war, denn niemand kümmerte sich mehr um einen Alten, der im Stummhaus verschwand, auch ein Polizeichef nicht. Geduldig wartete er, bis der Teilnehmer sich wieder meldete: „Ein Kervin Caughens befindet sich bei uns. Die Untersuchung wurde abgeschlossen, und er hat Quartier bezogen. Sonst noch etwas?"
„N ... nein, danke. Das ist alles."
Er schaltete das Gerät aus und sah Kervin ungläubig an.
„Caughens, Sie sind gleichzeitig hier und in Melbourne. Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll. Es kann Sie doch nicht doppelt geben!"
Kervin zuckte die Achseln und schwieg.
Er wurde in die Zelle gebracht, in der Kathleen war. Als sich die Tür hinter ihm schloß, setzte er sich auf das freie Pritschenlager.
„Da wären wir wieder zusammen", flüsterte er müde und enttäuscht.
Sie begrüßte ihn durch bloßes Kopfnicken.
„Ja, und keiner kann dem
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