0702 - Die Nacht der bösen Frauen
war wuchtig und aus schwerem Metall hergestellt. Ein Kreuz, das bisher allen Stürmen getrotzt hatte, aber nicht der Hexe, die ein Stück höher geklettert war und mit dem linken Arm das Kreuz umklammerte.
Noch immer umlagerte sie der rote Schein, der aus ihrem Inneren drang, als wäre es der Atem der Hölle.
»Verdammt!« sagte Marek und atmete tief durch. »Damit habe ich nicht gerechnet. Sie ist… sie ist…«
»Hör auf, Frantisek.« Suko schüttelte den Kopf. »Assunga hat etwas vor. Sie wird uns…«
Das nächste Wort blieb Suko im Hals stecken, denn Assunga hatte ihren Mund weit aufgerissen.
Normalerweise hätte sie sich sehr anstrengen müssen, um die Worte so laut zu schreien, daß sie auch von den Männern verstanden wurden.
Sie rief nur, sie schrie nicht, aber sie waren trotzdem laut, als würden sie wie ein Echo aus dem Hohlweg dringen, um die Ohren der beiden Männer zu malträtieren.
»Diese Stadt gehört mir - mir allein! Ich habe sie erobert. Ich werde sie behalten. Ich werde sie zu einem Refugium der Hölle machen, zu einem Sitz des Teufels. Und hier werde ich meine Rache nehmen. Rache für meine toten Freunde…«
Marek bewegte seine Stirn. »Die meint wahrscheinlich die Hexe, die verbrannte.«
»Das sehe ich auch so.«
»Aber die hat sie doch selbst…«
»Kannst du ihr das begreiflich machen, Frantisek?«
»Nein!«
»Dann wird sie immer die Schuld bei den anderen suchen. Aber sie hat in der Mehrzahl gesprochen. Vor unseren Augen ist aber nur eine Hexe gestorben. Was ist mit der zweiten? Oder vielleicht einer dritten und vierten, die den Begriff der Mehrzahl rechtfertigen würde. Was ist mit denen?«
»Keine Ahnung.«
Suko verzog das Gesicht. »Ich könnte mir da etwas vorstellen, etwas ganz Bestimmtes.«
»John?«
»Ja, er. Möglicherweise ist er auf eine der Dienerinnen getroffen und hat sie erledigt.« Er holte tief Luft. »Das ist Spekulation, Marek, aber es gibt mir auch Hoffnung.«
»Gut, wir werden sehen.« Er deutete über das Dach hinweg auf den Kirchturm, wo die Hexe stand.
Noch immer erinnerte sie an eine von innen beleuchtete Figur. Ihre Haltung war ungewöhnlich. Sie sah so aus, als wollte sie das Kreuz jeden Augenblick aus der Verankerung reißen.
Und dann verschwand sie.
Suko hatte nicht gesehen, ob sie nach hinten wegtaumelte, er hörte nur Mareks leisen Fluch. Der Pfähler beschwerte sich darüber, daß sie jetzt keine Chance mehr hatten, die Hexe zu stellen.
»Sie wird kommen«, sagte Suko und kletterte durch die Luke zurück auf den Speicher.
Marek folgte ihm langsamer. Die Großmutter und ihr Enkel standen in der offenen Tür. Beide schauten die Männer furchtsam an. Auch das Lächeln der Fremden konnte die Angst nicht aus ihren Gesichtern vertreiben.
Eva hielt Sukos Arm fest. »Was haben wir getan, um derartig schlimm bestraft zu werden?« fragte sie.
»Nichts haben Sie getan.«
»Aber warum sind Sie dann hier? Weshalb hat sich das Böse gerade unseren Ort ausgesucht?«
»Ein Zufall«, sagte Marek.
»Nein, das glaube ich nicht. Da muß es einen anderen Grund geben. Waren es die beiden toten Polizisten?«
»Vielleicht.« Marek streichelte der Frau über das Haar. »Was immer auch geschieht, bleiben Sie im Haus. Wir werden versuchen, die Hexe zu stoppen. Wir werden unser Bestes tun und…«
»War sie das?«
»Wie meinst du…?«
»Die auf dem Kirchturm stand.« Eva pumpte Luft in ihre Lungen. »Ich habe sie nicht richtig gesehen, aber ich konnte sie hören. Sie rief aus dem Feuer hervor, aus dem roten Licht und…«
»Ja, das war sie.«
Eva schüttelte den Kopf. »Ihr schafft es nicht«, flüsterte sie. »Nein, ihr werdet es nicht schaffen. Die Hexe ist zu mächtig, sie ist grausam, sie ist…«
»Nicht unbesiegbar«, sagte Suko mit einer Stimme, die der Frau Mut machen sollte.
Eva schüttelte den Kopf. »Ihr seid zu schwach. Aber ich werde eines machen. Ich werde für euch beten. Für euch, für mich und für all die anderen hier in Plakac…«
»Ja«, sagte Suko, »das wird wohl gut sein…«
***
Als ich das Plätschern hörte, blieb ich stehen. Zuerst dachte ich an einen Brunnen, der Wasser ausstieß, dann sah ich einen kleinen Kanal, der von dem Wasser gespeist wurde, das aus den Bergen floß und sich seinen Weg durch den Ort bahnte, als eine sehr klare, sprudelnde Flüssigkeit.
Ich war zwar nicht am Ende, aber doch ziemlich groggy. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Mensch, sondern mehr wie eine Kreatur, die von einem Kokon
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