0702 - Die Nacht der bösen Frauen
stehengeblieben. Er schaute hinab in die Gasse, wo noch immer die verbrannte Hexendienerin und der Polizist lagen.
Kein Mensch traute sich an die reglosen Körper heran, die dort lagen wie Puppen. Die Menschen blieben in den Häusern. Obwohl keiner etwas Genaues wissen konnte, lag die Angst als unsichtbarer Gast überall und drückte wie Ballast auf die Seelen der Menschen.
Die Schwüle und auch die Windstille hatten eine seltsame Stille mitgebracht. Jedes fremde Geräusch - auch wenn es nur schwach war - konnte aus einer relativ großen Entfernung vernommen werden.
Deshalb hörte Marek die Schritte.
Sie allerdings waren ziemlich nah und unter ihm in der Gasse aufgeklungen.
Er glaubte nicht daran, daß ein Bewohner seine Wohnung verlassen hatte. Diese Schritte besaßen eine andere Ursache.
Auch Suko hatte sie gehört. Er drehte sich um und sah seinen Freund am Dachrand stehen. Marek hatte eine schräge Haltung eingenommen. Er starrte in die schmale Schlucht und winkte mit der linken Hand dem Inspektor zu, ohne sich umzudrehen.
Suko schlich heran.
»Das müssen sie sein«, wisperte Marek. »Davon bin ich felsenfest überzeugt. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Meinst du die Frauen?«
»Ja.«
»Und wo?«
»Hier unten irgendwo. Ich habe die Schritte gehört und komme mir vor, als sollten wir verarscht werden.« Er sprach voller Wut und ballte die Hände zu Fäusten.
Sie lauschten auch in den folgenden Sekunden, aber die Schritte wiederholten sich nicht. Es kam ihnen vor, als hätte ein großer Besen alle Geräusche zur Seite gefegt.
Die Männer blieben trotzdem auf den Dächern und schauten hinab in die Gasse.
Da rührte sich nichts, aber die Schatten hockten dort wie unheimliche Wesen. Dieses Hochtal war bereits von der ersten Dunkelheit erfüllt worden, nur an den Graten der Berge zeigte sich noch ein letzter funkelnder Streifen Restlicht.
Die Gassen schwiegen…
Es drang kein Lichtstrahl in die Finsternis. Die Menschen steckten nicht einmal Kerzen an. Sie hockten in ihren dunklen Wohnungen und lauerten. Straßenlaternen gab es zwar auch in Plakac, aber die wenigsten davon funktionierten.
Außerdem standen die Leuchten nicht unbedingt in den Wohngebieten, sondern mehr im Zentrum und nahe des Bahnhofs.
Der Inspektor hob die Schultern. »Sie haben es verdammt schlau angestellt«, sagte er leise.
»Assunga scheint genau zu wissen, was sie will. Sie verfolgt einen bestimmten Plan. Sie will sich beweisen, sie will das Dorf unter ihre Kontrolle bekommen.«
»Das hat sie schon«, sagte Marek.
»Wieso?«
»Die Menschen ducken sich. Sie haben Angst. Assunga hat hier bereits gewonnen. Auch John Sinclair hat es nicht geschafft, sie aufzuhalten. Sie ist einfach besser.«
»Nein, Frantisek, sie hat einen Vorsprung. Das ist es. Wir laufen immer hinterher, aber die Hexe ist nicht besser als der Mann mit dem Kreuz. Sie kann nicht besser sein.«
Der Pfähler schaute noch einmal über die Kante. Da unten hatte sich nichts verändert. Nach wie vor blieb die Dunkelheit wie eine Mauer zwischen den Hauswänden. Wenn dort Hexendienerinnen auf sie lauerten, hatten sie es sehr schlau angestellt.
Suko ließ seine Blicke noch einmal über die anderen Dächer schweifen. Automatisch schaute er auch dorthin, wo sich der Kirchturm abzeichnete.
Er überagte alle Wohnhäuser. Er war ein Fanal, er hätte eigentlich die Hoffnung sein müssen, aber das war nicht der Fall.
Etwas bewegte sich um die Spitze des Turms herum.
Zuerst dachte Suko, daß es ein Vogel wäre, aber das stimmte nicht. Die Bewegung sah auch nicht flatterhaft aus, da schlug keiner mit den Flügeln, und trotzdem war die Bewegung vorhanden.
Auf der Spitze des Turms, direkt am Kreuz!
Das war auch kein Vogel, das war überhaupt kein Tier, es war ein Mensch, eine Frau.
Die Hexe!
Und sie zeigte sich einen Moment später in ihrer gesamten Macht und Stärke, denn sie hatte sich den Ort nicht grundlos ausgesucht. Sie wollte über das Gute triumphieren. Die Hexe hatte es bewiesen.
Die Kirche gehörte ihr!
***
Auch Marek hatte es gesehen! Er unterdrückte nur mühsam einen Fluch und wollte etwas sagen, als Suko den Arm ausstreckte und in Richtung Kirchturm deutete.
»Da, das Licht!«
Es war auf einmal da. Und es war kein Scheinwerfer eingeschaltet worden, der die Hexe beleuchtete, denn dieses rote Licht kam von innen, es strömte aus ihrem Körper hervor und umwaberte sogar noch den Kirchturm und dessen Spitze.
Die Spitze bestand aus einem Kreuz. Es
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