0703 - Die Insel des Kopfjägers
scharf, aber auch warm über das Deck hinwegwehte, geriet er ins Schwitzen.
Er sah auch den spöttischen Zug am Mund der Frau.
Oder war es ein grausamer?
Die Insel erschien.
Sie hatten sie schon lange sehen können, aber sie rückte näher wie eine klotzige Felswand, die allerdings zum Nordufer hin verschwunden war und in ein flaches Gelände überging, so daß auch ein kleiner Hafen hatte angelegt werden können. Ein totes Becken, von drei Seiten durch Betonmauern eingefaßt. Kein Schiff lag dort vor Anker. Die Dünung bewegte sich auf die Öffnung zu, schaffte ihre langen Wellen hinein und ließ sie gegen die Mauer klatschen.
Gischtwolken flogen hoch, als die langen Wellen an der Zufahrt gebrochen wurden.
Melanie Travis hatte die Geschwindigkeit zurückgenommen. Das Dröhnen der beiden Motoren war kaum mehr zu hören. Langsam glitt das Boot dem Hafen entgegen.
Wasser und Himmel, dazwischen die Insel. Drei Dinge, die der Schauspieler mit dem Begriff Einsamkeit verband. Er hatte seine Schwägerin einige Male nach den Gründen für diesen Besuch gefragt und nur ausweichende Antworten bekommen.
Sie wollte mit ihm über die Zukunft und die Vergangenheit reden, über die Familie, den Bruder.
Die kleine Yacht schaukelte der Einfahrt entgegen. Sie war ziemlich groß und öffnete sich wie ein Maul. Dick brauchte keine Furcht davor zu haben, daß sie irgendwo aneckten, außerdem verstand es Melanie, perfekt mit dem Boot umzugehen.
Mit einer Kopfbewegung nach rechts gab sie ihm zu verstehen, daß er zum Heck gehen sollte. »Dort liegt ein Tau. Nimm schon das eine Ende und springe mit ihm an Land, sobald wir angelegt haben. Wirst du das schaffen, Dick?«
Travis verzog den Mund. »Muß ich dich daran erinnern, daß ich zumeist bei meinen Dreharbeiten ohne Double arbeite?«
»Pardon«, meinte sie spöttisch. Er ging.
Und plötzlich haßte er die Frau. Das Gefühl überschwemmte ihn wie eine rote Wolke. Er traute ihr alles zu. Am liebsten hätte er sie gepackt, über Bord geschleudert und sie beim Hochkommen immer wieder zurückgestoßen, so lange, bis sie ihm die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt hatte.
Denn er fühlte sich verstrickt in ihr Netz aus Lügen und Intrigen.
Er nahm das Tau. Es war mit weißer Farbe lackiert worden, paßte zur Farbe der Yacht.
Zusammen mit den Wellen wogten sie durch die Einfahrt und glitten in den kleinen Hafen hinein.
Melanie arbeitete gut und geschickt. Sie manövrierte die Yacht längsseits an die Mole heran, rief ihrem Schwager etwas zu, als die Steuerbordseite über die Abprallreifen glitt, und er sprang mit einem großen Satz von Bord.
Er schaffte es leicht. Das weiß lackierte Tau hielt er mit beiden Händen und wickelte es um einen Poller, der wie ein Pilz mit breitem Flachdach aus dem Boden ragte.
Wenig später warf Melanie ihm ein zweites Tau zu. Auch das wickelte er fest.
Dann ging er wieder an Bord.
Er hatte eine Segeltuchtasche vollgepackt und wollte nach einem viereckigen Koffer greifen, den Melanie mitgenommen hatte, als diese ihm ihre Hand auf die Schulter legte.
Aus gebückter Haltung schaute er hoch. Über ihm schimmerte ihr Gesicht. Die Augen sahen aus wie blankes Eis. »Nein, den nehme ich. Du braucht hier nicht den Kavalier zu spielen.«
»Wie du meinst.« Er trat zurück.
Seine Schwägerin hob auch die Tennistasche an, die einen langen Riemen besaß. Sie drückte ihn über die Schulter und ging als erste von Bord.
Begrüßt wurden sie vom Kreischen der Seevögel. Menschen waren nicht zu sehen, was Dick zu einem Kopfschütteln und einer Bemerkung veranlaßte. »Die Insel ist tatsächlich nicht bewohnt.«
»Das sagte ich dir bereits.«
»Und was hast du jetzt vor?«
»Da es kein Taxi gibt, werden wir uns zu Fuß auf den Weg zum Ziel machen.«
Er war noch nicht fertig und stand ihr gegenüber. »Es muß doch jemand das Haus sauberhalten. Man baut es sich doch nicht auf eine menschenleere Insel, Melanie.«
Sie lächelte kalt. »Ich reiche mir selbst aus. Und wenn ich will, kann ich immer hier weg. Ein Boot steht bereit, das solltest du nicht vergessen. Die Insel ist ideal.«
»Gibt es nur dein Haus?«
»Fast«, sagte sie.
»Und die anderen?«
Sie löste ihr Haarband und schüttelte die blonde Mähne aus, deren Spitzen fransig geschnitten waren. »Es gibt keine anderen mehr. Keine Bewohner, keine Fischer. Zufrieden?« blaffte sie den Schauspieler an und drückte sich an ihm vorbei.
Dick Travis ließ seine Schwägerin vorgehen. Er blieb
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