0704 - Vampir-Zyklopen
Blickes.
Deshalb bekamen sie auch nicht mit, wie sich der steinerne Krieger langsam zu ihnen umdrehte…
***
Die Signadora bewegte sich langsam.
Das hatte sie ihr Leben lang getan. Und nun, in ihrem einundachtzigsten Lebensjahr, sah die alte Frau erst recht keinen Grund zur Eile mehr.
Für ihr Vorhaben stand ihr die ganze Nacht zur Verfügung…
Die winzige Greisin mit dem zerknitterten Pergamentgesicht hatte ihr Dorf um Mitternacht verlassen und schlich nun durch das Unterholz.
Sie kannte den Niederwald der Macchia so genau wie ihr schwarzes Kleid. Und das besaß sie schon seit vielen Jahren.
Der volle Mond hing tief über den Berggipfeln im Süden. Nur in solchen Nächten blühten einige der Kräuter, auf die es die Signadora abgesehen hatte.
Zweitausend verschiedene Pflanzenarten gab es auf Korsika, 78 davon nur auf dieser Insel. Und die Signadora kannte sie alle…
Die alte Frau war eine Geisterbannerin!
Mit ihren Kräutermixturen konnte sie angeblich sogar Tote wieder zum Leben erwecken, wie man in den Dörfern der Castagniccia munkelte. Doch das war eine böswillige Verleumdung. Die Signadora war der Meinung, dass Leichen unter die Erde gehörten. Und sonst nirgendwo hin…
Doch in dieser Nacht war etwas anders.
Die schwarz gekleidete Greisin spürte, dass etwas Böses umging. Sie hatte Erfahrung mit allerlei Naturgeistern. Und die Menschen, die sie vor dem Bösen Blick gerettet hatte, konnte man nach all den Jahren schon nicht mehr zählen.
Doch die Dämonen dieser Nacht waren ein anderes Kaliber. Sie waren stark. Und die Signadora hatte ihnen noch nie gegenübertreten müssen. Obwohl sie schon seit der Weihnachtsnacht 1940 die Kunst des incantesimo, die Weiße Magie, gelernt hatte, war ihr in all der Zeit noch nichts derartiges begegnet.
Trotz der spürbaren Bedrohung setzte die winzige alte Frau ihren Weg ruhig fort. Was hätte sie auch anderes tun sollen? Weglaufen? Vor Dämonen konnte man nicht davonrennen. Schon gar nicht, wenn man einundachtzig Jahre alt war.
Man kann nur gegen das Böse kämpfen oder selbst zerrissen werden, dachte die Alte grimmig. Sie klammerte sich fester an ihren Knotenstock, den sie in der Rechten hielt. An ihrem linken Arm baumelte ein Bastkörbchen für die Kräuter.
Die Signadora ging gemächlich direkt auf das Entsetzen zu!
Die beiden Kreaturen, die unter einigen Kermeseichen lauerten, hielten sich wahrscheinlich für gut getarnt. Das waren sie auch. Für normale Menschen.
Doch die alte Frau spürte solche bösen Wesen mit ihrem Zaubererherz…
Ächzend setzte sie einen Fuß vor den anderen. Den kleinen Augen in ihrem verschrumpelten Gesicht entging nichts.
Plötzlich sprangen die beiden Kreaturen aus ihrem Versteck hervor!
Die Signadora bemerkte sofort, dass sie es mit Blutsaugern zu tun hatte. Nun, richtige Doluzen waren es nicht. Dafür dankte die Zauberin der Heiligen Madonna.
Doch auch normale Vampire waren brandgefährlich. Jedenfalls für gewöhnliche Menschen.
Die Blutsauger waren seltsam gekleidet, wie die Signadora fand. Sie trugen weiße neumodische Overalls und Helme. Doch ihre Körper unter der Kleidung waren untot und dämonisch. Nichts anderes interessierte die alte Frau.
Sie kam dem Angriff der Kreaturen zuvor!
Noch bevor sich die beiden Blutsauger auf ihr vermeintlich wehrloses Opfer stürzen konnten, hob die Signadora ihren Knotenstock.
Der männliche Vampir riss sein Maul auf, als ob er ein schäbiges Lachen loslassen wollte. Doch gleich darauf musste er feststellen, dass er eine ernst zu nehmende Gegnerin vor sich hatte.
Aus dem oberen Ende des Knüttels zischte lautlos eine Schlinge aus glänzendem Material hervor. Der Vampir zog seine rechte Klaue nicht schnell genug zurück. Der glitzernde Faden legte sich um sein Handgelenk.
Dann musste die Signadora nur noch kurz ziehen.
Die Vampirkralle wurde abgetrennt und fiel auf den Waldboden!
Die Blut saugenden Bestien blickten einander fassungslos an.
Die Alte ließ ihnen keine Zeit, um sich wieder zu fangen. Mit ihrer heiseren Stimme begann sie eine Vampir-Bannformel zu rezitieren. Dabei richtete sie ihren Knotenstock auf den weiblichen Vampir.
Der Blutsauger, der einst Marie Fabienne gewesen war, wurde plötzlich starr und steif. Die mächtigen Worte der Signadora ließen die Vampirin für Sekunden auf dem Fleck verharren.
Mehr Zeit benötigte die Zauberin nicht.
In aller Ruhe erweiterte sie die Schlinge des Knotenstocks. Dann ließ sie den blinkenden Faden auf Marie Fabienne
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