0704 - Vampir-Zyklopen
brodelte es.
Kindheitserinnerungen kamen hoch. Damals, in seinem Bergdorf, als der Urgroßvater abends am Feuer erzählt hatte. Der alte Mann war damals schon hochbetagt gewesen, selbst für einen korsischen Hirten.
Und er hatte von den grausamen Höhlenbewohnern berichtet, die man niemals, unter gar keinen Umständen, in ihrem ewigen Schlaf stören durfte.
Sonst würde etwas Entsetzliches passieren!
»Und diese französischen Grotten-Schnüffler haben es getan!«, sagte der Capitaine auf Korsisch zu sich selbst.
Als er die Gauloises aufgeraucht hatte, zermalmte er sie in seinem Aschenbecher, griff zum Telefonhörer und tippte eine Nummer in den Apparat.
Gleich darauf wurde auf der anderen Seite der Leitung das Telefon abgenommen.
»Hochwürden? Hier spricht Louis Baptiste von der Gendarmerie in Girolata. Es gibt schlechte Nachrichten. Ich fürchte, ein paar unwissende Franzosen haben die Doluzen geweckt…«
»Der Herr stehe uns bei«, erwiderte der korsische Geistliche mit dumpfer Stimme.
***
Nicole Duval lackierte sich die Fußnägel.
Die Lebens- und Kampfgefährtin sowie Sekretärin Professor Zamorras saß im Garten von Château Montagne und genoss die Frühlingssonne auf ihrer Haut. Eine leichte Brise wehte von der Loire herüber.
Nicole war nur mit Shorts und einem bauchnabelfreien, ärmellosen Shirt bekleidet.
Aufs Höchste konzentriert führte sie das Pinselchen. Das Nagellackieren war für Nicole Duval gleichzeitig eine Entspannungsübung, bei der sie das soeben bestandene Abenteuer noch einmal in ihrem Bewusstsein Revue passieren ließ.
Eine verdammt böse Geschichte mit möglicherweise noch weit reichenden Folgen…
Die Spiegelwelt… [1]
Sie glich der Erde so sehr, dass Zamorra und Nicole beim Benutzen der Regenbogenblumen, als sie aus Schottland zum Château Montagne in Frankreich zurückkehren wollten, irrtümlich in diese andere Welt versetzt worden waren.
Aber dennoch waren beide Welten nicht gleich.
Gut war böse, böse war gut. Nicht immer und überall, aber gerade bei den entscheidenden, wichtigen Dingen. Und zu diesen gehörten ein anderer Zamorra und eine andere Nicole. Bösartige Ungeheuer in Menschengestalt -ein Zamorra, der Ambitionen besaß, zum Fürsten der Finsternis aufzusteigen, und eine sadistische Nicole Duval… ein mordlüsterner, wilder Drache, dessen Klauen und Zähnen ein guter Freund zum Opfer gefallen war!
Ein Freund, der gekommen war, sie beide aus der Spiegelwelt zu befreien. Michael Ullich.
Er war tot.
So tot wie Carsten Möbius, der in Frankfurt am Main auf offener Straße erschossen worden war.
Zamorra und Nicole ahnten, wer dahinter steckte, aber es gab keine Beweise.
Ty Seneca war für den Mord verantwortlich. Dieser Doppelgänger aus der Spiegelwelt, der gegen Robert Tendyke ausgetauscht worden war. Während Seneca auf der Erde daran arbeitete, seine Macht auszuweiten, wie er es bereits in der Spiegelwelt getan hatte, war der richtige Robert Tendyke dort gefangen und fand den Weg zur Erde nicht mehr. Zamorra und Nicole hatten ihn mit zurück nehmen wollen, aber sie waren voneinander getrennt worden, hatten es gerade noch selbst geschafft, zu entkommen. Tendyke, der bereits gehofft hatte, heimkehren zu können, hatte in der Spiegelwelt bleiben müssen.
In dieser Hölle auf Erden, in der er den Bösewicht spielen musste, der sein Double war, um nicht aufzufallen und kurzerhand umgebracht zu werden!
Sie mussten irgendwie versuchen, ihn wieder zur Erde zu holen. Sie würden noch einmal in diese Spiegelwelt Vordringen müssen, so bald wie möglich.
Sofern ihnen der böse Zamorra von drüben nicht zuvor kam und hier erschien…
Vielleicht war er sogar schon hier?
Niemand konnte es wissen. Denn der Unheimliche, der sich der Schwarzen Magie verschrieben hatte, kannte den Weg hierher! Er wusste, dass er nur die Regenbogenblumen zu benutzen brauchte. Vielleicht nicht die im Château Montagne, um nicht zu früh aufzufallen, aber das spielte doch keine Rolle. Es gab an vielen Orten der Erde diese Blumen, und er konnte sie alle benutzen.
Und wenn er dann aktiv wurde, wenn er hier zu morden begann - wem würden diese Verbrechen zur Last gelegt werden?
Dem echten Zamorra!
Daher galt es, so vorsichtig zu sein wie nie zuvor. Durch die Spiegelwelt war eine Bedrohung entstanden, wie es sie noch niemals zuvor gegeben hatte.
Und das Schlimmste daran war: mit ziemlicher Sicherheit hatten Zamorra und Nicole diese Bedrohung selbst erschaffen!
Durch jenes
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