0707 - Im Schatten des Vampirs
ersten Mal Zweifel. Musste er den Regler nach rechts oder links drehen?
Beides erschien ihm gleich wahrscheinlich.
Rechts, entschied er und drehte den Regler in die entsprechende Richtung. Das ging erstaunlich leicht, so leicht, dass Xinfa Zweifel kamen. Probeweise drehte er ihn nach links, was auch nicht schwieriger war.
Er wischte sich mit der Hand über die Augen und betrachtete die Anzeige. Die Zeiger bewegten sich nicht.
Also doch rechts, dachte er und drehte erneut am Regler.
Die Zeiger verschwammen vor seinen Augen. Er blinzelte, aber sein Blick blieb unscharf. Trotzdem war er sicher, dass die Zeiger sich dieses Mal bewegten.
Erleichtert wandte sich Xinfa von den Ventilen ab und setzte sich wieder auf den Vorsprung. Mit halb geschlossenen Augen starrte er auf die wogende See, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Den Überdruck hatte er längst vergessen.
In Ge Xinfas Rücken zitterten die Zeiger hinter dem Schutzglas. Millimeter um Millimeter bewegten sie sich weiter in den roten Bereich hinein.
***
Yu Li-Wen richtete sich zitternd auf. Der Schlag, den sie von dem fremden Bewusstsein bekommen hatte, steckte ihr in den Knochen. Verstört sah sie zu Zamorra, der immer noch bewusstlos neben ihr lag. Er musste über eine starke geistige Barriere verfügen, wenn er sie so vehement zurückdrängen konnte.
Li-Wen verabschiedete sich von der Hoffnung, über Zamorras Geist in den Traum vorzudringen. Sie schätzte ihre Fähigkeiten sehr realistisch ein und wusste, dass sie gegen diese Mentalsperre keine Chance hatte.
Sie presste die Lippen zusammen, als sie sah, dass die Lichtbalken, die durch die hölzernen Wände in den kleinen Schuppen fielen, spärlicher geworden waren. Draußen wurde es also schon dunkel. Sie schätzte, dass sie weniger als eine Stunde Zeit hatte, bis der Nebel seine Drohung wahr machte.
Was soll ich nur tun?, dachte sie verzweifelt.
So lange Zamorra in dem Traum gefangen war, hatte sie keine Möglichkeit, mit ihm in Kontakt zu treten. Seine Sperre hinderte sie daran. Mit einem weiteren Zauber gelang es ihr vielleicht, den Arbeitern noch für eine weitere Nacht den Schlaf zu nehmen, aber damit setzte sie auch deren Leben aufs Spiel. Schon jetzt waren die meisten kaum noch ansprechbar.
Li-Wen seufzte leise, als sie den Nebel sah.
Lautlos drang er durch die Spalten des Schuppens. Er tauchte häufig auf, wenn sie traurig oder verängstigt war. In ihrer Kindheit hatte seine Anwesenheit sie getröstet, heute wünschte sie sich jedoch, er würde ihr etwas mehr Privatsphäre gönnen.
Es ist dir nicht gelungen, ihn zu wecken, sagte der Nebel in ihrem Kopf.
»Nein, ich habe versagt.«
Dann wirst du die Aufgabe erfüllen, so wie es sein muss?
Es klang wie eine Frage, aber Li-Wen verstand den Befehl, der dahinter steckte. Der Nebel hatte ihr stets gesagt, was sie zu tun hatte, schon damals, als sie in dem kleinen Dorf am Yangtse aufwuchs. Sie dachte an ihre Mutter, die den Nebel an ihrem zehnten Geburtstag an sie übertragen hatte, so wie die Tradition es verlangte.
Seit Jahrhunderten wurde der Nebel von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Niemand wusste, woher er kam, aber jeder kannte die Funktion, die Mensch und Nebel gemeinsam zu erfüllen hatten. Sie waren die Wächter und die Vollstrecker. Über Generationen hinweg warteten die Frauen der Familie Yu auf den Tag, an dem Kuang-shi erwachte und sie ihre grausame Mission antreten mussten.
Li-Wen wünschte, es hätte eine andere getroffen, eine, der das Töten leichter fiel, aber die Götterdämonen hatten ihre Wahl getroffen. Ihr gesamtes Leben hatte sie auf diesen Moment ausgerichtet, von der Annahme des Nebels über die Ausbildung im Geheimdienst bis hin zu der Erkenntnis, dass sie trotz psychologischer Schulungen und modernster Waffentechnik am Ende ganz allein war. Selbst der Nebel war nicht ihr Freund.
Wie lautet deine Antwort?, drängte er.
»Ich…«, begann Li-Wen, aber ein dumpfer Knall unterbrach sie. Der Boden begann zu beben; Donner rollte über sie hinweg. Eine zweite Explosion riss sie von den Füßen.
Li-Wen roch das Gas in der Luft und ahnte, was passiert war. Sie hörte die Alarmsirenen, die zur Evakuierung der Plattform aufriefen, hoffte jedoch, dass es bereits zu spät war. Vielleicht zeigte das Schicksal doch Gnade und nahm ihr das Morden ab. Wenn alle auf der Bohrinsel verbrannten oder in den ölbedeckten Fluten untergingen, war ihre Aufgabe erledigt.
Tote konnten schließlich nicht
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