0707 - Im Schatten des Vampirs
ständig, von den langsamen konzentrierten Bewegungen einer Tai-Chi-Übung bis hin zu schnellen, unkontrolliert wirkenden Sprüngen.
Nicole ahnte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie zwischen den sich völlig synchron bewegenden Robenträgern auffiel. Ihre einzige Hoffnung war, dass der Tanz endete, bevor das geschah.
Sie hatte den Gedanken noch nicht beendet, als sie heftig gegen einen springenden Körper prallte und zu Boden gerissen wurde. Der Robenträger, mit dem sie kollidiert war, konnte sich ebenfalls nicht auf den Beinen halten und kippte gegen einen zweiten Mann, der zur Seite stolperte.
Der von Nicole befürchtete Domino-Effekt blieb zwar aus, aber der Rhythmus des Tanzes war gebrochen. Die Träumenden blieben stehen.
Alle starrten sie an.
Nicole schluckte und stand langsam auf. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie die knienden Vampire die Köpfe hoben und sich verwirrt ansahen. Dann kamen sie auf die Beine und griffen nach ihren Lanzen.
Ihre Reaktion war für Nicole wie ein Startschuss.
Sie stieß zwei der Träumenden zur Seite und rannte los. Die überraschten Rufe der Vampire folgten ihr, als sie im Zickzack durch die Menge lief. Keiner der Träumenden griff nach ihr, niemand versuchte sie aufzuhalten.
Nur die Soldaten folgten ihr.
Nicole täuschte eine seitliche Bewegung vor, tat so, als wolle sie in Richtung des Stadttores laufen. Die Vampire schlugen einen Bogen, um ihr den Weg abzuschneiden und fluchten, als sie sich plötzlich umdrehte und auf den Palast zulief.
Die riesigen Eingangstüren standen offen, Wachen waren nicht zu sehen. Nicole hoffte, dass Zamorra den Tumult bemerkte und seinerseits etwas unternahm. Sie hatte keine Zeit, um den ganzen Palast nach ihm zu durchsuchen.
Nicole erreichte die ersten Stufen, unterschätzte ihre Höhe und stolperte. Sie fing den Sturz mit den Händen ab und kam wieder hoch. Ein Blick auf die Eingangstore ließ sie jedoch erschreckt zurückweichen.
Eine ganze Kompanie kam ihr aus den dunklen Rängen des Palasts entgegen. Die Vampire hatten die Zähne gefletscht und hielten Lanzen in den Händen. Im Laufschritt bewegten sie sich über die Treppe.
Nicole fluchte lautlos, als sie weiter zurückwich. Der Weg in den Palast war damit versperrt. Zurück konnte sie auch nicht, weil die anderen Soldaten die Straßen zum Stadttor blockierten. Ihr blieb nur noch eine Möglichkeit, also drehte sie sich entschlossen um und lief nach rechts in die schmalen, dunklen Gassen einer geheimnisvollen Stadt.
Die Soldaten folgten ihr.
***
Zamorra und Wu Huan-Tiao schritten durch die langen Korridore des Palasts. In regelmäßigen Abständen hingen Fackeln an den Wänden, die den fensterlosen Räumen das Aussehen mittelalterlicher Kerker verschafften. Irgendwo musste es eine Belüftungsanlage geben, denn trotz der zahlreichen Feuer war die Luft angenehm kühl und frisch.
Zamorra dachte an die Soldaten, die in einigem Abstand hinter ihnen hergingen und deren Schritte durch die Gänge hallten. Er fragte sich, ob ihre Anwesenheit eine Respektsbezeugung war oder einen anderen Zweck erfüllte. Vielleicht war Wu doch misstrauischer, als er dachte und wollte nicht mit ihm allein sein. Eine andere Möglichkeit war, dass die Soldaten nicht Wu dienten, sondern Kuang-shi, und dieser beide Zauberer bewachen ließ.
Er hätte die Frage gerne laut gestellt, aber er war bereits einmal durch Unwissenheit aufgefallen. Ein zweites Mal wäre zu gefährlich gewesen.
Wu Huan-Tiao blieb vor einer schmalen Holztür stehen und öffnete sie. Dahinter sah Zamorra eine enge, gewundene Steintreppe, die nach unten führte.
Ich war schon einmal hier, dachte er plötzlich. Am Ende der Treppe liegt eine Arena.
Er nickte dankend, als ihm einer der Soldaten eine Papierlaterne reichte und sich tief verneigte. Wu nahm eine zweite Laterne an sich und stieg über die ausgetretenen Steinstufen nach unten.
Zamorra folgte ihm, während die Soldaten zurückblieben.
»Unsere Ahnen waren sehr klug«, sagte Wu, »als sie entschieden, dass dies der einzige Raum des Palasts ist, in dem magische Experimente durchgeführt werden dürfen. Die meterdicken Steinwände haben schon manche Katastrophe verhindert. Ich hoffe nur, dass du und ich nicht zu den nächsten Opfern zählen werden.«
Zamorra murmelte etwas Zustimmendes, aber seine Gedanken drehten sich nur um die Grotte, die sie gerade betraten. Sie war kreisrund, genau wie er sie in Erinnerung hatte. Der Boden war mit Sand bedeckt und an einer
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