0707 - Im Schatten des Vampirs
seinen Fingerspitzen und zog mit aller Kraft.
Das Wolfswesen knurrte, riss seinen Kopf aus der Umklammerung und biss zu. Jorge glaubte vor Schmerz den Verstand zu verlieren, als scharfe Zähne sich mit einem widerlich feuchten Geräusch in seinen Körper gruben. Immer und immer wieder biss der Wolfsmensch zu, bis die Schreie des Vampirs in denen seiner Soldaten untergingen.
***
Nicole blieb atemlos stehen und lehnte sich gegen eine Wand. Seit einigen Minuten hörte sie die Schritte ihrer Verfolger nicht mehr. Mit ein wenig Glück hatten die sie in den engen Gassen verloren.
Nicole wusste nicht, in welchem Teil der Stadt sie sich befand. Die Häuser sahen alle gleich aus und standen so dicht nebeneinander, dass selbst die Fahnen der alles überragenden Pagode nicht zu sehen waren. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als auf ein Dach zu klettern und sich von dort aus Orientierung zu verschaffen.
Suchend ging sie die Gasse entlang. Nach einigen Metern entdeckte sie ein Gebäude, das etwas höher als die anderen aufragte und mit bunten Bannern geschmückt war Es gab keine Türen, nur einen offenen Eingang, zu dem eine breite Holztreppe führte.
Genau, was ich gesucht habe, entschied Nicole. Sie stieg die sieben Holzstufen hinauf und sah vorsichtig in den Bereich, der dahinter lag. Es war ein großer, offener Raum. Bunt verglaste Fenster führten nach draußen und sorgten mit ihrem Licht dafür, dass das dunkle Holz nicht erdrückend, sondern beinahe gemütlich wirkte. An einer Wand stand eine Art Altar, vor dem Blumentöpfe mit blühenden Pflanzen aufgebaut worden waren. Räucherstäbchen schickten dünne Rauchfahnen zur Decke. Es roch nach Zimt und Blütenstaub.
Ein Tempel, dachte Nicole.
Neugierig ging sie auf den Altar zu. Bisher hatte sie kein Haus in der Stadt gesehen, das so komplett wirkte. Wenn sie sich tatsächlich in Kuang-shis Traum befand - und alles deutete darauf hin -, musste dieser Tempel von großer Bedeutung für ihn sein. Sonst hätte er sich wohl kaum diese Mühe gegeben.
Der Altar bestand aus dunklem, kunstvoll geschnitzten Holz. In seinem Zentrum standen zwei polierte Steinplatten. Auf einer war der stilisierte Kopf eines Wolfs zu sehen, so wie auch schon auf den Bannern und Brustpanzern der Soldaten. Die andere Platte war einfach nur schwarz. Vor ihr lagen Vogelfedern und etwas, das wie eine mumifizierte Fledermaus aussah. Weiße Papierstreifen, die mit fremdartigen Schriftzeichen bedeckt waren, rahmten die Platten ein.
Nicole ließ den Altar hinter sich und betrachtete einige Gemälde, die man auf Holzbrettchen aufgetragen hatte. Neben ihnen hingen weitere Schriftzeichen, die entfernt chinesisch aussahen und vermutlich die Szenen auf den Gemälden erläuterten.
Langsam ging Nicole an den Bildern vorbei. Sie schienen eine Geschichte zu erzählen, aber die Handlung erschloss sich ihr nicht. Erst als sie um eine Ecke bog und die letzten beiden Gemälde sah, begriff sie die Tragweite ihrer Entdeckung.
»Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte sie. Nur zur Sicherheit betrachtete sie sämtliche Bilder erneut, kam jedoch zu der gleichen Schlussfolgerung. Wenn die Geschichte stimmte, die hier erzählt wurde, dann…
Ein Ruf ließ sie herumfahren.
Zwei Vampire standen neben dem Altar. Sie richteten ihre Schwerter auf Nicole und sagten etwas, das sie nicht verstehen konnte.
Hektisch sah sich um. Hinter der Ecke, wo sie die beiden letzten Bilder gesehen hatte, war nur noch eine Wand. Den Weg zur Tür blockierten die Vampire. Die einzig andere Fluchtmöglichkeit waren die Fenster.
Nicole zögerte keine Sekunde. Sie griff nach einem der Blumentöpfe und warf ihn den Vampiren entgegen. Einer von ihnen hieb im Reflex mit seinem Schwert dagegen. Dreck spritzte über den Boden. Der andere tauchte unter dem Hieb seines Kameraden hindurch und warf sich auf Nicole.
Die empfing ihn mit einem Karatetritt, der ihn mit dem Kopf gegen einen Holzbalken prallen ließ. Er stöhnte und schüttelte sich, während Nicole bereits dem ersten Vampir auswich, der mit der flachen Schwertseite nach ihr schlug.
Anscheinend wollte man sie lebend.
Nicole entging dem Schlag, drehte sich zur Seite und verschaffte sich mit einem Tritt etwas Luft. Jetzt hatte sie endlich einen freien Weg zum Fenster. Mit zwei Sätzen hatte sie es erreicht, riss die Arme schützend vors Gesicht und sprang.
Die Scheibe zerbarst mit einem lauten Knall. Nicole hörte die wütenden Rufe der Vampire, rollte sich auf dem Boden ab und kam
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