0709 - Das Seelenschwert
schaute, sah er, daß sie dunkel geworden war.
Das Blut des Wächters klebte daran, und er erinnerte sich, daß er den Mann dicht unter der Kehle angefaßt hatte. Wahrscheinlich war ihm der Hals zur Hälfte durchtrennt worden.
Sadre glitt zur Seite.
Mit seiner Ruhe war es vorbei. Er glich jetzt einem aufgepumpten Ball, der jeden Augenblick platzen konnte.
Sein Atem war kaum zu hören, auch seine Bewegungen glichen denen eines sich völlig lautlos heranschleichenden Raubtiers. Etwas war passiert, was noch nie geschehen war. Er ging davon aus, daß er nicht nur einen Toten im Garten finden würde.
Für ihn war es wichtig, die anderen Wächter zu finden. Er dachte aber auch an Li Choung, der allein und schutzlos auf der Bank saß. Zwar konnte sich der alte Mann noch verteidigen, aber einem heimtückischen Angriff aus dem Hinterhalt war er hilflos ausgeliefert.
Was sollte er zuerst tun?
Den toten Wächter ließ er in der Felsspalte an der Pagode stehen. Geduckt und fast unhörbar huschte er dorthin, wo er seinen Boß auf der Bank zurückgelassen hatte. Daß der alte Mann noch gute Ohren besaß, bewies er mit einer Frage, denn er sprach Sadre an, bevor dieser ihn erreicht hatte. »Ist alles in Ordnung?«
»Ich schaue mich um.«
Li Choung räusperte sich. Er konnte gewisse Untertöne heraushören.
»Also nicht in Ordnung?«
»Meister, ich glaube zu wissen, daß sich jemand in unsere Nähe gestohlen hat.«
Li Choung blieb ruhig. »Gab es Hinweise?«
»Ja, Tschek ist tot.« Auch jetzt rührte sich der alte Mann nicht. Er nahm die Meldung auf wie jede andere. Auch bei einer freudigen Nachricht hätte er kaum anders reagiert.
»Ich werde ihn suchen.«
»Ja, und dann schaffe ihn her.«
Sadre verbeugte sich und war weg. Der alte Chinese aber blieb starr sitzen. Er lauschte in die Stille hinein. Der sachte Nachtwind bewegte die Blätter der Bäume und ließ sie rascheln. Auf der Stirn des alten Chinesen zeichnete sich plötzlich ein noch stärkeres Muster ab. Er dachte nach und kam zu dem Entschluß, daß diese Nacht keine gute für ihn werden würde.
Sosehr ihn auch die Nachricht von der Auffindung seines Sohnes gefreut hatte, so schlimm war es dann für ihn gekommen, als Sadre seine Tour machte.
Wer schaffte es, in diesen Garten, der so gut bewacht war, einzudringen?
Der alte Mann hatte sich auf Sadre verlassen. Er hatte die Leute ausgesucht, und sie waren sicherlich nicht schlecht gewesen, aber es gab bessere.
Bessere oder nur einen?
Li Choung dachte nach. Er wollte seinen Verdacht selbst nicht wahrhaben, doch je länger er darüber nachdachte, um so stärker festigte er sich.
Das Eindringen des Fremden mußte etwas mit den Vorgängen zu tun haben, die seinen Sohn betrafen. Nahm jetzt eine Seite Rache, die von Geistern gelenkt wurde?
Wenn ja, würde auch ein Mann wie Sadre nicht gegen sie ankommen. Er wünschte sich den Mann an seiner Seite, aber Sadre würde nicht eher aufgeben, bis er zu einem Ergebnis gelangt war.
In der Tat hatte er den Weg zwischen die Felsen eingeschlagen. Der Garten war so angelegt worden, daß einzelne hohe Steinformationen durch Treppen miteinander verbunden wurden. Teilweise bildeten sie auch schmale Brücken, die über nicht allzu tiefe Abgründe hin wegführten. Mit raumgreifenden, geschmeidigen Bewegungen erreichte Sadre den höchsten Punkt der Felsen.
Dort hockte er sich nieder. Er fiel förmlich zusammen und konnte einfach nicht mehr gesehen werden.
An dieser Stelle wartete er ab. Er war unter anderem stolz auf seine Augen und verließ sich auch darauf, in der Dunkelheit sehen zu können.
Sollte sich unter ihm jemand bewegen, würde er es sehr bald feststellen.
Da tat sich nichts.
Nur der Wind bewegte die dünnen Zweige der exotischen Büsche und Bäume. Manche Strauchgruppe sah aus, als würde sie große Pilze bilden und erinnerte entfernt an Schirmakazien.
Er blickte auch auf die Oberflächen der kleinen Teiche. Die beiden waren durch den schmalen Kanal miteinander verbunden, verteilten sich innerhalb des Gartens und sahen aus der Höhe aus wie große, glänzende Augen, in die etwas hineingeworfen war, was sich dann träge auf der Oberfläche bewegte.
Es waren die Blätter der Seerosen, die sich auch an den Rand der Teiche drängten, wo das Schilf wie große Streichhölzer aus dem Wasser wuchs. Nicht weit davon entfernt und schon auf dem Trockenen wuchsen die klumpig und doch elegant wirkenden Gestalten der Bambussträucher, über deren feine Haut aus Blättern
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