071 - Die weisse Wölfin
leer war. Danach kam ein verschwenderisch ausgestattetes Badezimmer.
Bevor ich die nächste Tür öffnen konnte, hörte ich ein Geräusch. Ich wandte den Kopf herum. Jennifer Jennings kam langsam auf mich zu. Ihr weißblondes Haar fiel lose über die Schultern und die hohen Brüste, die aus einem blutroten Abendkleid hervorsprangen. Das Kleid war aus Samt und bodenlang, das Oberteil schmiegte sich eng an ihren Körper an, und der Rock war weit und flauschig. Sie trug keinen Schmuck. Das hatte sie nicht nötig. Zwei Schritte vor ihr lief der graue Wolf, den sie im Käfig gekost hatte.
Wie war es ihr gelungen, so rasch den Wolf zu holen und sich umzuziehen? Hatte sie vielleicht auch die anderen Wölfe schon losgelassen?
Meine Hand umkrampfte stärker den Brieföffner.
Der graue Wolf knurrte mich wütend an. Sie stieß einen leisen Zischlaut aus, und der Wolf beruhigte sich etwas und blieb stehen.
„Welche Ehre!“ sagte Jennifer Jennings mit einschmeichelnder Stimme.
Ich hob die Wolfsblume hoch, und sie starrte sie an. Für einen Augenblick flackerten ihre bernsteinfarbenen Augen, und ein leises Zittern durchlief ihren Körper.
„Damit können Sie mir nichts anhaben“, sagte sie verächtlich und zeigte auf die Wolfsblume.
Ich überlegte, wie ich an sie herankommen konnte. Es blieb mir nur eine Möglichkeit. Ich mußte den Wolf an ihrer Seite ausschalten.
„Sie sind verändert, Mr. Hunter“, sagte sie. „Als ich Sie das erste mal sah, gefielen Sie mir besser.“ „Wir haben uns noch nie gesehen“, sagte ich und trat einen Schritt vor.
Der Wolf fletschte die Zähne.
„Bleiben Sie ruhig stehen, Mr. Hunter!“ sagte sie. „Noch eine Bewegung, und der Wolf zerreißt Ihnen die Kehle.“
Ich bewegte mich nicht. Der Wolf war vielleicht zwei Meter von mir entfernt. Mit einem Sprung konnte er mich erreichen. Und sein Gebiß sah furchterregend aus.
„Sie waren einen Tag lang Gast bei mir“, sagte sie spöttisch. „Sie erinnern sich doch daran, daß ein Tag aus Ihrem Gedächtnis gestrichen ist. Diesen Tag verbrachten Sie bei mir. Ich hätte Sie gern meinen Wölfen vorgeworfen, hatte aber den ausdrücklichen Befehl, es nicht zu tun. Doch jetzt ist die Situation anders. Sie haben nur noch eine Chance. Eine einzige!“
„Und die ist?“ fragte ich.
Sie kniff die Augen zusammen. „Geben Sie endlich Ihren hoffnungslosen Kampf gegen die Schwarze Familie auf!“
Ich lachte spöttisch.
„Nie!“ schwor ich.
„Hören Sie mir zu, Mr. Hunter. Es bleibt uns nicht viel Zeit. Sie werden von der Polizei und von der Schwarzen Familie gejagt. Egal, wie Sie Ihre Situation betrachten, Ihre Chancen sind gleich Null. Erwischt Sie die Polizei, dann wandern Sie lebenslang ins Gefängnis. Und der Schwarzen Familie können Sie ohnehin nicht entkommen. Asmodi glaubte schon, Sie ausgeschaltet zu haben, doch Sie sind zäher, als er angenommen hatte. Er will Ihnen eine Chance geben. Bekennen Sie sich zur Schwarzen Familie, dann wird sich alles in Wohlgefallen auflösen. Sie können zum Schein weiterhin als Dämonenkiller auftreten, werden aber in Wirklichkeit mit der Schwarzen Familie zusammenarbeiten.“
„Dieser Vorschlag kommt etwas überraschend“, sagte ich.
Ich dachte nicht eine Sekunde lang daran, diesen Vorschlag auch nur kurz in Erwägung zu ziehen, aber ich konnte ja zum Schein darauf eingehen.
„Sie haben nicht viel Zeit, Mr. Hunter“, sagte sie.
„Das alles hat mir doch Jörg Eklund, mein Bruder, eingebrockt“, sagte ich.
Jennifer Jennings lachte laut.
„Eklund!“ sagte sie verächtlich. „Der ist doch nur ein ganz unwichtiges Mitglied der Familie. Ein Schwächling, der sich nur über schwache Menschen hermacht. Als Werwolf ist er mir widerwärtig, da ist mir schon ein echter Wolf lieber – so wie…“
Jörg Eklund tauchte hinter ihr auf. Sicherlich hatte er alles gehört, was sie über ihn gesagt hatte. Er trug einen maßgeschneiderten Smoking, und sein dichtes, rotes Haar war mit einem Band im Nacken zusammengebunden.
„So ist das also!“ sagte Eklund und kam rasch näher. „Endlich erfahre ich, was du tatsächlich über mich denkst.“
Sein Gesicht verzerrte sich wütend. Der sinnliche Mund weitete sich, und die Nasenflügel wurden breiter. Und plötzlich waren seine Wangen mit dichtem Fell bedeckt. Die Augen glühten dunkelrot, und unter den wulstigen Lippen kamen Raubtierzähne zum Vorschein. Seine Hände verwandelten sich zu Pranken, sein Körper krümmte sich, und heisere Laute kamen
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