0711 - Die Nacht der Wölfe
der Hand auf seine Brust. Mehrmals wiederholte er die Geste, bevor er Yellowfeather erwartungsvoll ansah.
Der antwortete nicht, obwohl er glaubte, die Gesten verstanden zu haben. Zu ungeheuerlich war das, was Miguel behauptete.
Ein Mensch mit einem Wolfskopf?
***
Special Agent Steven Brooke stieg aus dem klimatisierten Mietwagen und lockerte seine Krawatte. Der Wüstenstaub flimmerte in der nachmittäglichen Hitze New Mexicos.
Dusty Heaven, dachte Brooke. Wer auch immer diesem Kuhkaff seinen Namen gegeben hat, hatte zumindest Sinn für Humor.
Er warf einen Blick auf die wenigen Häuser, von denen die breite Hauptstraße gesäumt wurde. Die Übertragungswagen der nationalen und lokalen Fernsehstationen waren längst wieder aus dem Stadtbild verschwunden, hatten sich anderen Verbrechen an anderen Orten zugewandt. Noch verband man mit dem Namen Dusty Heaven die Erinnerung an verstümmelte Pferdekadaver, die auf Lastwagen geladen wurden und an einen blutüberströmten Mexikaner in Handschellen. Schon morgen würden auch diese Bilder vergessen sein, überschattet von einem Attentat in Nahost oder einem Skandal in Washington. Nichts war langweiliger als die Nachrichten von gestern.
Brooke war froh über diese Haltung, denn sie erleichterte seine Arbeit. In den langen Jahren seiner Arbeit in der Abteilung für Gewaltverbrechen hatte er die Erfahrung gemacht, dass die Aufmerksamkeit eines flüchtigen Verdächtigen nachließ, sobald Zeitungen und Fernsehen nicht mehr über ihn berichteten. Das kam ihm entgegen.
In diesem Fall spielten die Medien jedoch keine Rolle. Brooke war sicher, dass der Täter bereits im Zellenblock des Sheriffbüros saß und darüber nachdachte, was ihn zu dieser Irrsinnstat getrieben hatte.
Das taten die meisten.
Brooke hatte viele Mörder in seinem Leben gesehen, aber nur wenige hatten ihre Tat sorgfältig geplant. Bei den meisten war es wie eine Explosion der Gewalt, ein entsetzlicher unkontrollierter Moment, der sie hilflos und verstört zurückließ. So hilflos und verstört wie Miguel Viadas.
Offiziell saß der Mexikaner nur im Gefängnis, weil er abgeschoben werden sollte, inoffiziell stand jedoch bereits fest, dass es zur Mordanklage kommen würde. Das war Brooke aber nicht gut genug. Er wollte den letzten Fall seiner Karriere nicht mit einem Indizienprozess abschließen, sondern mit einem Geständnis und der ordentlichen Beerdigung der Opfer.
Brooke klopfte nicht an, als er das Büro des Sheriffs betrat. Der kleine Raum wirkte wie ein Relikt aus den fünfziger Jahren. Ein hölzerner Schreibtisch, eine uralte Kaffeemaschine und ein Telefon, auf dem man die Nummern noch über eine Wählscheibe eingeben musste, standen in unmittelbarer Reichweite eines Bürostuhls. Der erstaunlich moderne Computer befand sich allerdings auf der anderen Seite des Zimmers auf einem zweiten, kleineren Schreibtisch, was darauf hinwies, dass der Sheriff von Dusty Heaven die neue Technik nicht gerade in sein Herz geschlossen hatte.
Eine Tür in der linken Wand führte in ein kleines Bad, eine zweite Tür hinter dem Schreibtisch zum Zellenblock. Brooke klopfte kurz gegen die Badezimmertür.
»Sheriff?«
Keine Antwort. Er sah zum Zellenblock, spürte plötzlichen Ärger in sich aufsteigen und öffnete die Tür.
Yellowfeather hockte auf dem Boden und sammelte die Scherben einer Kaffeetasse auf, während Viadas zwischen zerknüllten Papierfetzen in seiner Zelle stand. Ein Kalender lag vor ihm auf dem Boden.
»Was geht hier vor?«, fragte Brooke.
Yellowfeather hob die Schultern. »Wir haben uns unterhalten.«
Er war ein großer und muskulöser Mann mit langen schwarzen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Sein Gesichtsform und Hautfarbe waren ungewöhnlich und Brooke tippte, dass er von Schwarzen und Indianern abstammte.
»Kommen Sie mit nach draußen, Sheriff«, sagte er knapp, ohne Viadas eines Blickes zu würdigen.
Er wartete, bis Yellowfeather an ihm vorbeigegangen war, dann schloss er die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.
»Was haben Sie sich dabei gedacht? Sie hatten die klare Anweisung, nicht mit dem Verdächtigen zu sprechen.«
Yellowfeather setzte sich auf seinen Schreibtisch. »Miguel Viadas ist mein Gefangener und sitzt in meiner Zelle. Sie können mir nicht untersagen, mit ihm zu reden.«
»Das kann ich sehr wohl, wenn ich den Eindruck habe, dass Sie die Polizeiarbeit durch Ihre Inkompetenz behindern!« Brooke atmete tief durch, bevor er ruhiger
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