0711 - Die Nacht der Wölfe
Mann auf der Fahrerseite erkannte er jedoch trotz Sonnenbrille sofort. Sie waren sich nie persönlich begegnet, aber man überlebte nicht einhundertfünfzig Jahre als Vampir, ohne das Aussehen seiner größten Feinde zu kennen.
Shit, dachte Jorge, Zamorra.
***
Professor Zamorra schloss die Tür und nahm die Sonnenbrille ab. Die beiden Männer, die vor ihm standen, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Der Sheriff war groß, breitschultrig und dunkel, der Anzugträger klein, hager und weißhaarig. Der Altersunterschied zwischen den beiden betrug mindestens zwanzig Jahre, wenn nicht mehr.
»Mein Name ist Steven Brooke, FBI«, stellte sich der Ältere vor. Zamorra bemerkte eine lange weiße Narbe an seinem Hals, die aussah, als habe jemand einmal versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. »Das ist Sheriff Washington Yellowfeather. Wenn Sie von der Presse sind, kommen Sie zu spät. Ihre Kollegen sind längst weg.«
»Wir sind keine Journalisten.«
Zamorra zog ein Blatt Papier aus seiner Hemdtasche und faltete es auseinander. »Dies ist ein Empfehlungsschreiben der LAPD. Wir haben bei einigen Gelegenheiten mit ihnen zusammengearbeitet.«
Die beiden Polizisten sahen sich an, dann nahm Brooke das Papier entgegen.
»Ich nehme an, Sie sind wegen des Überfalls auf die Ranch hier«, sagte er, nachdem er es gelesen hatte.
Zamorra nickte. »Wir haben Grund zu der Annahme, dass dieser Fall in Zusammenhang mit einigen Personen steht, die in der letzten Woche als vermisst gemeldet wurden.«
»Diese Menschen sind vermutlich tot«, übernahm Nicole Duval und trat zu einer große Landkarte, die an der Wand hing. »Der erste verschwand hier an der 95, der nächste hier auf der 190, dann wieder einer an der 25 und an der 60. Die Fälle liegen alle auf einer Linie, und wenn man die verlängert…«
»…landet man in Dusty Heaven«, beendete Yellowfeather den Satz. »Interessante Theorie.«
»In diesem Land verschwinden täglich Menschen«, widersprach Brooke. »Ich bin sicher, dass es noch andere Fälle hier im Südwesten gegeben hat, die Sie nicht mit einbezogen haben. Wenn Sie alle Daten verwenden, werden Sie sehen, dass Ihre gerade Linie nicht existiert. Sie verschwenden nur Ihre und meine Zeit.«
Er gab Zamorra das Empfehlungsschreiben zurück.
Der ignorierte die Abfuhr. »Diese Menschen waren zum Zeitpunkt ihres Verschwindens allein und hielten sich nachts auf den Highways auf. Glauben Sie mir, es gibt in den letzten zehn Tagen keinen Fall, auf den die gleichen Merkmale zutreffen.«
»Na und?« Brookes Stimme wurde lauter. »Auf der McDermond-Ranch waren fünf Leute, und das Haus liegt noch nicht einmal in der Nähe eines Highways. Erklären Sie mir mal, wo da ein Zusammenhang sein soll?«
»Sie werden mutiger.«
»Wer sind sie?«
Zamorra zögerte. Er und Nicole hatten lange über die Frage diskutiert, wen sie der Polizei als möglichen Täter nennen sollten. Die Wahrheit kam nicht in Frage, aber auch die halb gelogene Erklärung, die sie sich zurechtgelegt hatten, erschien ihm im Angesicht des unaufgeschlossenen Polizisten wenig überzeugend.
»Wir glauben«, sagte er wider besseren Wissens, »dass es sich um eine Sekte handelt, die Ritualmorde begeht.«
Brooke schüttelte den Kopf und lachte leise. »Ich hätte gewettet, dass Sie so etwas sagen. Leute wie Sie sehen hinter jedem Mord einen Serientäter, hinter jeder Blutspur ein Ritual und hinter jedem Zufall eine Verschwörung.«
Womit er nicht ganz unrecht hat, dachte Zamorra. Das Problem ist nur, dass in meiner Welt hinter Morden, Blutspuren und Zufällen genau die Dinge lauern, die er beschrieben hat.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Brooke zu, der sich langsam in Fahrt geredet hatte. »Ich bin seit zweiunddreißig Jahren beim FBI. Wissen Sie, wie vielen Serienmördern ich in dieser Zeit begegnet bin? Keinem. Wie vielen wahnsinnigen Sekten? Keiner. Wie vielen Verschwörungen? Keiner einzigen. Und an dieser Statistik wird sich heute auch nichts ändern.«
Er öffnete die Tür. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden. Ich habe einen Verdächtigen zu verhören.«
Zamorra folgte Nicole wortlos nach draußen. Hinter ihnen wurde die Tür lauter als nötig ins Schloss geworfen.
»Okay«, sagte er, während er die Sonnenbrille wieder aufsetzte und zum Wagen ging. »Das ist nicht so toll gelaufen. Irgendwelche Vorschläge?«
Nicole hob die Schultern. »Spontan leider keine. Ohne die Erlaubnis der Polizei können wir nicht mit dem Zeugen
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