0714 - Die Totenfrau ist da
können, als bei ihm und in diesem Haus zu wohnen? Hätte ich das?«
»Ich weiß es nicht.«
»Diese Tarnung war und ist ideal.« Schwungvoll drehte sie sich um und schaute mich wieder an.
Dann kam sie langsam auf mich zu.
Wieder blieb sie dicht vor mir stehen, senkte den Kopf und flüsterte: »Heute ist Vollmond, John, das weißt du genau. Du hast ihn gesehen. Er steht wie ein Gruß am Himmel. Er ist so wunderbar gelb und klar, und er schickt mir seine Botschaft. Sogar die Wolken haben sich aus seiner unmittelbaren Nähe verzogen. Es herrscht ein ideales Mordwetter für mich. Findest du nicht auch?«
Das fand ich nicht, aber es hatte keinen Sinn, ihr es zu sagen. Es hätte nichts geändert.
Sie lächelte wieder, streckte eine Hand aus und streichelte meine Wange. »Fast ist es schade, daß ich dich umbringen und begraben muß…«
»Dann hast du auch deinen Mann getötet?«
Ihre Hand zuckte zurück. Sie nickte sehr langsam. »Ja, ich habe ihn umgebracht, und der Arzt hat das auf den Totenschein geschrieben, worum ich ihn auch in all den anderen Fällen gebeten habe. Herzschlag, John, einfach Herzschlag…«
Ich hatte sehr wohl mitbekommen, was sie mir da erklärte. »Die anderen?« wiederholte ich.
»Sicher. In den letzten drei Jahren habe ich öfters auftanken müssen. So einige Menschen hier aus der Umgebung sind an Herzschlag gestorben, doch Hyram war mein Meisterwerk, weil es mir durch seinen Tod gelungen ist, dich herzulocken. Ich wußte genau, daß du deinem alten Lehrer die letzte Ehre erweisen würdest, das war mir von vornherein klar. Und du hast so gehandelt, wie ich es angenommen habe. Kompliment!«
Ich schloß die Augen. Diese Bewegung kam mir vor, als hätte man schwere Deckel über meine Pupillen gezogen. Dieses Weib war noch raffinierter und heimtückischer, als ich angenommen hatte.
Sie war der Tod auf zwei Beinen, mit einem sündhaft schönen Körper und einem Gesicht, in dem sich die Verlockung widerspiegelte.
Welch ein Satan!
Sie ließ mir Zeit, über mein Schicksal nachzudenken, und nach einer Weile stellte ich meine Frage.
»Bist du dir sicher, daß alles klappen wird?«
»Natürlich. Was sollte mich stören? Ich habe bisher immer gewonnen, John.«
»Aber es wird auffallen, wenn ich nicht mehr zurückkehre. Man wird dir auf die Spur kommen. Man wird dieses Gelände durchsuchen, man wird das Unterste nach oben kehren. Du kannst eigentlich nicht gewinnen, auch wenn der Arzt versuchen sollte, meinen Totenschein auf Herzschlag auszustellen. So etwas glaubt dir keiner.«
»Tatsächlich nicht?«
»Bist du so dumm?«
»Aber John«, sprach sie mich an, als wäre ich ein kleines Kind. »Ich werde bei dir doch keinen Herzschlag auf den Totenschein schreiben lassen. Du wirst überhaupt keinen Totenschein bekommen, denn Menschen, die es nicht mehr gibt, brauchen ihn nicht. Du wirst einfach verschwunden sein. Nur ich weiß, wo du dich aufhältst. Ich habe doch von dem Friedhof gesprochen, und auch du kennst ihn sehr gut, mein Lieber. Dort wirst du für alle Zeiten verschwinden. In einem feuchten Grab wird dein Fleisch vermodern, dort werden deine Knochen zu Staub zerfallen, und es hat einen Geisterjäger John Sinclair gegeben. Du bist meine größte Herausforderung. Ich habe sie angenommen, ich werde sie auch schaffen, darauf kannst du dich verlassen.«
Sie hatte es mir mit einer Sicherheit erklärt, die auf mich erschreckend wirkte. Irgendwo sogar verständlich, denn die Morde der Vergangenheit hatten ihr die Sicherheit gegeben. Und ich fühlte mich eingeschlossen in einen verdammten Teufelskreis, aus dem ich aus eigener Kraft nicht herauskommen konnte. Nicht so wie ich mich fühlte, so elend, so matt und nicht fähig, mich zu bewegen.
»Jetzt weißt du alles«, sagte sie. »Ich gebe dir noch kurz eine Galgenfrist, aber um Mitternacht werden wir den alten Friedhof erreicht haben, wo ich persönlich das Grab für dich schaufeln werde. Dann werden mir die Strahlen des Mondes diese Kraft verleihen, die dazu erforderlich ist. Nur wir beide, John, nur…«
Es klingelte.
Selma Scott stoppte mitten im Satz. Ich sah ihr an, daß ihr dieses Geräusch überhaupt nicht paßte, denn sie schien vor mir zu versteinern.
»Besuch für dich, Mörderin«, flüsterte ich.
»Jaa - ich weiß«, dehnte sie und drehte sich um. Sie ging zur Tür. »Ich werde sogar öffnen, Sinclair, und wenn nötig, die trauernde Witwe spielen.«
»Geh zum Teufel!« keuchte ich.
»So schnell noch nicht.« Ihre Antwort
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