0714 - Die Totenfrau ist da
direkt dankbar sein, daß er nachträglich für den Einbau eines Kellers gesorgt hat. Glaub mir, dort ist diese Person gut aufgehoben. Ich werde mich im Nachhinein um sie kümmern, zuvor jedoch muß ich mit dir fertig sein, John Sinclair.«
Ich ließ mir einen Augenblick Zeit, bevor ich die Frage stellte. »Willst du mich jetzt zum Friedhof schleppen?«
Sie kam näher, schüttelte den Kopf. »Noch nicht.« Bevor sie mich erreichte, ging sie nach links auf das Fenster zu. »Es wird zuvor etwas sehr Wichtiges geschehen, das unbedingt durchgezogen werden muß, weil es mein Schicksal so vorsieht.«
Ich fragte nicht danach, was es war. Sie hätte mir bestimmt keine akustische Antwort gegeben, aber ich bekam trotzdem eine, die so schaurig und grauenhaft war, daß ich damit nie im Leben gerechnet hätte.
Selbst ich erlebte noch schreckliche Überraschungen…
***
Es war ein Wunder, ein echtes Wunder, denn Harriet Slade lebte, obwohl sie die lange Steintreppe hinabgefallen war, und sie mußte ihrem Schutzengel dafür dankbar sein.
Sie lag mit angezogenen Beinen auf dem Steinboden, vollzog dabei die Schmerzen in ihrem Körper nach und lebte mit der Erinnerung an ihren Sturz.
Es war schlimm gewesen, sie hatte unter Schock gestanden und konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern.
Sie hatte den Stoß gespürt, war dann ins Leere gefallen, hinein in eine tiefe, wattiggraue Finsternis, war aufgeprallt, weitergerollt, immer und immer wieder, durch ihren Körper waren die Schmerzen getost wie böse, brutale Schläge, und sie hatte den Eindruck gehabt, als würde die Treppe überhaupt kein Ende mehr nehmen, als wäre sie die Stiege gewesen, die in die Hölle führte.
Dann aber war sie liegengeblieben, und so lag sie auch jetzt noch. Starr und still, nicht einmal zitternd, nur eingepackt in Schmerzen, die sich besonders stark in den Schultern ausbreiteten..
Irgendwann kam die Angst und mit ihr das Gefühl, alles vergessen zu wollen.
Ich bin tot, sagte sie sich. Ich bin tot, tot, tot…
Immer wieder hämmerte sie sich das ein, aber sie war nicht tot. Sie lebte, denn Tote verspürten keine Schmerzen mehr.
Harriet versuchte es. Man konnte ihr vieles absprechen, aber nicht eine gewisse Zähigkeit, zu der auch der Wille zählte, immer zu überleben und nicht so leicht aufzugeben, denn sonst wäre sie diesen Weg nicht gegangen.
Sie hat dich nicht geschafft, diese verfluchte Mörderin. Du bist trotz allem besser als sie. Du mußt einfach besser sein, wenn du überleben willst.
Überleben und bewegen!
Für Harriet war der letzte Begriff wichtig. Sie durfte nicht noch länger vor der verdammten Treppe liegen bleiben. Sie mußte versuchen, davon wegzukommen.
Sie mußte aufstehen, sie mußte…
Die Frau wälzte sich herum. Sie verlagerte den Druck auf andere Stellen ihres Körpers und schrie dabei leise auf. Jetzt erst stellte sie fest, wo die harten Stufen sie überall erwischt hatten. Eigentlich gab es keine Stelle, die nicht schmerzte.
Und trotzdem gehorchten ihr die Arme, die Beine, die Gelenke. Zuerst zog sie die Beine an, stemmte so gut wie möglich die Hacken gegen den Steinboden, stützte sich auch mit den Händen ab, und es gelang ihr, sich hinzusetzen.
Das war gut.
Ihr Keuchen erfüllte den Keller. Sie rutschte ein Stück zurück und spürte den Druck der letzten Stufe in ihrem Rücken. Um sie herum lag die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch. Kein Lichtstrahl drang durch, dieser Keller besaß kein Fenster, er war nur angefüllt mit einer nach Schimmel riechenden Kälte.
Und der Ausweg?
Es gab nur einen.
Er führte die Treppe hoch zu einer Tür, von der sie hoffte, daß dieses verfluchte Weib sie nicht verschlossen hatte. Gehört hatte sie nichts, wenn sie sich recht erinnerte.
Also da hoch, die Tür aufstoßen und nach Möglichkeit ungesehen das Haus verlassen.
Wenn das nur so einfach gewesen wäre. Harriet rechnete natürlich damit, daß diese Person da oben besser achtgab. Die hatte sie nicht ohne Grund in den Keller hinabgestoßen, und sie rechnete sogar damit, daß sie hier sterben sollte.
Der Gedanke daran ließ die kalte Angst in ihr hochsteigen, mobilisierte auch ihren Widerstand, und Harriet gab nicht auf. Zunächst mußte sie auf die Füße kommen.
Das fiel ihr sehr schwer, sie drehte sich im Sitzen herum und stützte sich mit beiden Händen an der zweitletzten Treppenstufe ab. Dabei spannte sich ihr Rücken. Er fühlte sich an, als hätte ihn jemand mit einem Sägeblatt verletzt.
Aber
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