0718 - Das Dorf der Toten
vehement den Kopf und trat nun seinerseits auf sie zu, bis sie nur noch ein einziger Schritt voneinander trennte. Er hörte ihren Atem. Und er wusste, dass ein Herz in ihrer Brust schlug.
Ganz genau wie bei ihm.
Es änderte nichts daran, dass sie beide nur noch durch eine schreckliche List ihr Dasein auf Erden fristeten.
»Nein?«, fragte sie.
Er nickte. Ihre Augen schreckten ihn nicht. Sie waren das einzige an ihr, was nicht Lüge war.
»Du!«, stieß er mit einer Leidenschaft hervor, als hätte er all die Zeit in der Fremde nur auf diesen Augenblick gehofft, in dem er es ihr ins Gesicht speien konnte. »Du bist schuld! Ich weiß, was damals geschehen ist! Er hat es mir erzählt, als er selbst noch nicht völlig davon beherrscht wurde!«
»Ich soll schuld sein?«
Er ballte die Fäuste: »Ja! Aber es ändert nichts. Was geschehen ist, ist geschehen.«
»Es wird bald enden, egal wer es verschuldete«, sagte sie, trat an Karl vorbei ans Fenster. Scheinbar zusammenhanglos fragte sie: »Sag, war ich je so schön, wie das Denkmal mich zeigt?«
»Bald enden?«, fragte er, ohne sich um ihre Eitelkeit zu scheren. »Was meinst du damit?«
»Du bist zum richtigen Zeitpunkt zurückgekehrt«, sagte Alma. »Mein Gemahl sagte es mir, bevor er ging.«
»Wohin ist er gegangen?«
»Er wollte vollenden, was heute Nacht scheiterte.«
Die Fremden!, durchfuhr es Karl.
Er wusste selbst nicht, warum er es tat, aber er stürmte an Alma vorbei aus dem Zimmer und aus dem Haus hinaus. Es muss aufhören!, pochte es in seinen Schläfen. Es muss endlich aufhören!
Aber gab es überhaupt eine Chance, es zu stoppen? Damit aufzuhören?
Er war sicher, daß Alma mit ihrer Behauptung, dass es bald enden würde, etwas völlig anderes meinte.
Nicht sicher war er, ob er wissen wollte, was es war…
***
Das Gefühl des Unwirklichen nahm zu, während sie den Reifenspuren folgten.
Man beobachtete Zamorra und Nicole ganz offen, beäugte sie so unwillig wie misstrauisch auf ihrem Weg durch das Dorf, aber niemand sprach sie an. Man ließ sie einfach gewähren. Gerade so, als wüsste man, dass sie ohnedies nichts ausrichten konnten, keine Gefahr darstellten, ganz egal, was sie herausfanden oder vermuteten.
Und das wiederum war ein beunruhigendes Gefühl…
»Wer diesen Wagen auch gefahren hat…«, setzte Nicole an, doch Zamorra korrigierte sie.
»Diesen Wagen hat niemand gefahren«, behauptete er, »jedenfalls nicht, als er diese Spuren hinterließ. Er wurde geschoben.«
Er wies auf eine Reihe von Fußabdrücken. Die Fußballen hatten sich tiefer in den Boden geprägt als die Fersen. Daraus war zu schließen, dass diejenigen - es waren mindestens zwei Fußpaare gewesen -, die sie hinterlassen hatten, sich im Gehen gegen etwas Schweres gestemmt hatten.
»Alle Achtung«, staunte Nicole.
Zamorra grinste. »Karl May lesen zahlt sich eben doch aus.«
»Also gut«, kam Nicole auf den Punkt zurück, »zwei Mann haben den Wagen geschoben. Was sagt uns das?«
»Dass sie ihn entweder nicht fahren konnten oder wollten.«
»Was wiederum bedeuten dürfte, dass Lance Farnsworth nicht mit von der Partie war - wenn es sich denn um sein Fahrzeug handelt.«
»Der Wagen könnte auch fahruntüchtig gewesen sein«, warf Zamorra ein.
»Das wäre natürlich die angenehmere Erklärung. Die andere…«
Zamorra nickte. »Die andere hieße, dass Lance - immer noch vorausgesetzt, es war sein Wagen - nicht in der Lage war, ihn zu fahren.«
»Bringt uns das irgendwie weiter?«
»Im Moment nicht.«
»Dann lass uns das Vehikel erst mal ausfindig machen. Vielleicht geht uns ja dann ein Licht auf…«
Die Spuren führten aus dem Ort hinaus, auf ein niedrig umfriedetes Gelände zu.
»Ein Friedhof«, stöhnte Nicole. »Die Spur führt genau zum Friedhof…!«
***
Das Areal des Friedhofs schien groß für einen so kleinen Ort wie Elkhart und war dementsprechend auch nicht zur Gänze belegt. Hie und da ragte ein Baum auf, allesamt abgestorben jedoch, als hätten sie in dieser Erde nicht auf Dauer wurzeln können. Ihre toten, kahlen Äste hingen verkrüppelten Knochenklauen gleich über den Gräbern, wie im Hingreifen erstarrt.
Die Bruchsteinmauer ringsum war hüfthoch, der gleichfalls aus Natursteinen gemauerte Torbogen breit genug, dass eine Kutsche passieren konnte -oder auch ein modernes Fahrzeug.
Die Reifenspuren führten hindurch und den Mittelweg entlang, der das Gräberfeld in zwei Hälften spaltete.
Am Tor blieb Zamorra erst einmal stehen.
»Was
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