0727 - Mystic, der Maniac
gedacht, daß Yannah noch bleicher werden konnte. Es geschah aber, denn die Nennung der Hexe aller Hexen, der Urmutter, der ersten Hure des Himmels, wie es zu lesen war, hatte sie aus der Fassung gebracht.
Yannah wäre beinahe zurückgesprungen. Sie tat es nicht, dafür hob sie beide Arme noch höher.
»Nein, nicht sie!« rief sie mir entgegen. »Sie war es niemals. Ich könnte nicht gegen sie ankommen. Sie steht zu hoch, sie schwebt über allem. Es ist eine Person, die mich stört, die mir direkt gefährlich werden kann, die eine Waffe besitzt, die ich gern in meinen Besitz bringen würde. Es ist«, sie legte noch eine kleine Pause ein, um die Spannung zu erhöhen, »Assunga!«
Da hatte ich die Lösung!
Diesmal starrte ich sie an, verlor auch an Farbe und flüsterte ihren Namen.
»Du kennst sie!« rief Yannah. »Ja, sie ist mir bekannt.«
»Und was noch?«
Ich lächelte und schwieg. Sollte ich ihr sagen, daß ich lange nichts mehr von ihr gehört hatte? Daß sie sich an Dracula II gewandt hatte, daß sie mit ihm verschwunden war, damit die beiden gemeinsam einen Gegenpol zum Teufel und seinen Vasallen aufbauen konnten?
Ich ließ es bleiben, ich nahm nur hin, daß Assunga wie ein unsichtbares Schwert über uns schwebte.
Wenn ich ehrlich war und den Fall realistisch sah, war sie auch nicht so wichtig. Hier ging es in erster Linie um Yannah, Mystic und natürlich um meinen Freund Suko, der nach wie vor ausgeschaltet war.
Ich senkte für einen Moment den Kopf, wollte den Gedanken sortieren und fragte dann: »Glaubst du denn, daß du gegen Assunga eine Chance hast?«
»Zusammen mit Mystic schon.«
»Und was ist mit Suko? Er wollte bei dir bleiben, zumindest für eine gewisse Zeit. Ich habe ihn selten so entschlossen erlebt. Er war von dir angetan, und ich weiß, daß es mehr als nur Freundschaft gewesen ist.«
»Stimmt, es war mehr.«
»Aber jetzt seid ihr Feinde. Weshalb diese Umkehr, Yannah? Was hat euch entzweit?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
»Kaum…«
»Er wollte nicht mehr. Der Pfad des Lichts, wäre er mit mir gegangen, aber nicht den der Dunkelheit. Er konnte nicht hinnehmen, daß Mystic einen Menschen tötete und ich dabei nicht auf seiner Seite stand. Da hat er sich von mir abgewendet. Ich habe es auch nicht geschafft, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Wer aber nicht mein Freund ist, den zähle ich zu meinen Feinden, demnach auch Suko.«
»Du würdest ihn töten?«
Yannah war ehrlich. »Ja, denn er hat mich verraten. Er rief dich zu Hilfe. Er wollte, daß er nicht mehr allein steht. Aber du wirst es nicht schaffen, zu ihm zu kommen, denn ich bleibe bei dir. Ich werde dich hier in diesem Raum festhalten, und du wirst dabei in meinem Spiegel sehen können, was auf dem Friedhof geschieht.«
»Sicher«, murmelte ich, »sicher. Diesmal versteh ich deinen Plan sehr genau. Aber…«
»Kein Aber!«
»Laß mich ausreden. Vielleicht will ich ebenfalls dem Friedhof einen Besuch abstatten. Mystic interessiert mich, mein Freund und Partner ebenso. Ich glaube nicht, daß du es schaffen kannst, mich hier festzuhalten.«
Sie nickte. »Ich wußte es, Sinclair. Ich wußte, daß du so handeln würdest. Aber wenn du dieses Zimmer verlassen willst, dann nur über meine Leiche, hörst du? Nur über meine Leiche…«
»Ja, ich habe verstanden.«
»Und wie lautet deine Antwort?«
Ich blickte ihr kalt ins Gesicht. »Du hast die Seiten gewechselt, Yannah. Ich hatte dich anders eingeschätzt und in dir bereits eine Verbündete gesehen. Wenn es aber so sein muß, dann eben nur über deine Leiche…«
Sie nickte. »Gut, Sinclair, gut. Ich weiß jetzt, was du vorhast. Ich habe es mir auch gedacht.« Sie deutete mit der freien Hand gegen die Tür. »Versuch es, Sinclair! Versuch dieses Zimmer zu verlassen, dann wirst du sehen, was geschieht…«
***
Paris lebte auch im Winter. Es war die Stadt der Hektik, des Verkehrs, der unzähligen Düfte, die allesamt wie eine Wolke über dem Meer aus Häusern schwebten. Es war aber auch die Stadt der Empfindungen, des Unterbewußtseins, die Stadt der Menschen, die des Lebens, das ständig brodelte.
Normale Menschen nahmen all diese Teile des gewaltigen Pariser Puzzles wohl wahr, jedoch nur am Rande. Man gewöhnte sich daran, man sah das Äußerliche und konnte nicht hinter die Kulissen schauen.
Anders Shao!
Nicht daß sie kein normaler Mensch gewesen wäre, aber sie war diejenige, die zu den wenigen Personen gehörte, die Bescheid wußten. Sie selbst hatte die
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