0734 - Dem Wahnsinn nahe
mir ehrlich leid, Mark.«
Der Mann aus Schweden holte tief Luft, um danach zu husten, weil das Zeug im Hals kratzte. »Ich habe schon viele Menschen kennengelernt, das können Sie mir glauben. Aber keiner, und ich betone keiner , war so wie Sie.«
»Das glaube ich Ihnen.«
Er trat einen Schritt zurück, um mich aus einer gewissen Distanz anzuschauen. »Wissen Sie, John, wenn man wie ich hier in den Slums lebt und arbeitet, bekommt man einen gewissen Blick für Menschen. Man lernt es, ihre Gefühle an ihrem Äußeren, dem Gesicht zumeist, abzulesen. Ich habe mich auch mit Ihrem Gesicht beschäftigt, John, ich habe es genau gesehen, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie ein ehrlicher Mensch sind, denn das erkannte ich an ihren Augen. Ja, Sie sind ehrlich, John, Sie sind auch etwas Besonderes. Aber wenn ich Sie jetzt frage, ob Sie einmal lachen würden, glaube ich kaum, daß Sie mir diesen Gefallen erweisen werden. Und wenn, dann würde es nicht echt sein.«
Ich nickte ihm zu. »Da könnten Sie schon recht haben.«
»Was bedrückt Sie, John? Es ist doch nicht nur der Anblick dort gewesen.«
»So war es nicht.«
»Was dann?«
Ich hob die Schultern. »Mark, Sie sind auch ehrlich, das weiß ich. Aber vertrauen Sie mir bitte. Und wenn Sie mir vertrauen, möchte ich Ihnen sagen, daß alles nicht so aussieht, wie es scheint. Ich bin ich, aber ich bin gleichzeitig noch ein anderer Mensch. Können wir uns darauf einigen?«
»Das ist mir zuwenig.«
»Ich glaube es Ihnen, Mark. Es wäre mir auch zuwenig. Bitte, Sie müssen mir vertrauen.«
Er schloß die Augen. »Darf ich keine Fragen mehr stellen?« fragte er nach einer Pause.
»Doch, das dürfen Sie. Nur werde ich mir die Antworten auf Ihre Fragen sehr genau überlegen.«
»Das habe ich mir gedacht.« Er sagte es voller Bitternis und zwinkerte mir zu.
»Aber ich habe Fragen!«
»An mich?«
»Sicher.«
»Geht es um die Mutationen?«
»Indirekt.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Es geht mir um den Mann mit dem kalten Gesicht, dessen Namen Sie nicht kennen.«
»Stimmt, denn niemand kennt ihn.«
»Gut, das sehe ich ein. Ich gehe davon aus, daß er hier sein Unwesen treibt.«
»Und wie.«
»Schön. Nein, das ist der falsche Ausdruck, aber Sie wissen ja, wie ich es gemeint habe. Haben Sie diesen Mann tatsächlich noch nicht zu Gesicht bekommen?«
»Nein«, sagte er spontan.
»Gibt es jemanden, der ihn gesehen hat?«
»Das kann durchaus sein. Ich rechne sogar damit, aber diejenigen, die ihn gesehen haben, werden kaum über ihn reden und ihn beschreiben können. Oder wollen Sie noch einmal zurück in die Hütte und versuchen, mit den Mutationen zu reden?«
»Auf keinen Fall.«
»Gut, mehr kann ich nicht sagen.«
»Haben Sie sich auch nie Gedanken darüber gemacht, wie das geschehen konnte?«
Olson legte den Kopf schief und fragte mit einem lauernden Unterton in der Stimme. »Worauf wollen Sie hinaus, John?«
»Es muß doch einen Grund haben, daß diese bedauernswerten Geschöpfe zu dem geworden sind.«
»Ja, den gab es bestimmt. Aber ich bin kein Zauberer und auch kein Wissenschaftler. Ich habe nur zur Kenntnis nehmen müssen, daß sie verschwanden und dann wieder erschienen, aber anders, als sie zuvor ausgesehen haben.«
Ich ließ nicht locker. »Könnten Sie sich nicht unter Umständen eine Lösung vorstellen?«
»Worauf wollen Sie hinaus, John?«
Ich schaute gegen den grauen Himmel und gegen die Mondsichel, als könnte sie mir eine Antwort geben. »Ich weiß es selbst nicht genau«, schwächte ich ab, »aber ich meine, Mark, daß dies etwas mit Magie oder Zauberei zu tun hat…«
»Das gibt es nicht. Nicht in dieser Form!«
Diese Antwort hatte ich haben wollen. »Auch nicht in Indien, wo doch vieles anders ist.«
»Nein, auch hier nicht. Es gibt Gurus, es gibt Heilige, aber die sind nicht so, verstehen Sie?«
»Ja, das weiß ich.«
»Dann hat es nichts mit Zauberei zu tun. Darüber habe ich auch schon nachgedacht.«
»Womit denn?« fragte ich.
Olson nickte mir zu. »Das ist in der Tat das große Problem. Ich weiß es nicht.«
»Sie können es sich auch nicht vorstellen?«
»Nein.«
Ich räusperte mich. »Nun gut, sehen wir die Sache einmal anders. Sind Sie ein Freund der Wissenschaft?«
Mark Olson stutzte. Er überlegte, worauf ich hinauswollte, und gab die Erwiderung erst später. »Ein Freund der Wissenschaft? Das ist eine gute Frage. Ich sage nicht nein, und ich stimme auch nicht zu. Ich relativiere. Sofern die Wissenschaft genutzt wird,
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