0737 - Asha Devis Höllenfahrt
gekrümmtes Opfermesser war ihrem Vater aus der Tasche gefallen. Das Kind erstarrte vor Schreck.
»Es ist zu deinem Besten, Asha.«
Mit diesen Worten schloss ihr Vater seine rechte Hand um den Griff des Dolchs…
***
Asha Devi wachte schreiend auf.
Die Polizei-Inspectorin benötigte ein paar Sekunden, um aus ihrem Angsttraum aufzuwachen, obwohl sie diese Albdruck seit ihrer frühen Kindheit regelmäßig alle paar Wochen hatte.
Und obwohl es eigentlich kein Traum, sondern eine Erinnerung war…
Asha Devis Vater hatte wirklich vorgehabt, seine kleine Tochter den Göttern zu opfern!
Doch Brahma, Krishna, Hanuman und die anderen mächtigen Götter Indiens hatten sich geweigert, das Blut eines unschuldigen Kindes anzunehmen. Stattdessen stellten sie Asha Devi unter ihren Schutz. Seit damals war Asha Devi ein erklärter Liebling der Götter.
Doch das konnte sie an diesem Morgen auch nicht aufmuntern.
Asha Devi schob sich ihr blauschwarzes Haar aus dem Gesicht. Dann schwang sie ihre langen, wohl geformten Beine aus dem Feldbett.
Auf nackten Füßen tappte sie in den Duschraum für Offizierinnen.
In Indien war momentan die Hölle los.
Die Großstädte des riesigen Landes wurden von blutigen Unruhen erschüttert. Hindus gegen Moslems, Moslems gegen Hindus. Niemand konnte mehr so genau sagen, wie es diesmal angefangen hatte. Vielleicht hatten Hindu-Jugendliche es lustig gefunden, Schweineblut in eine Moschee zu schütten. Oder radikale Moslems hatten eine Statue von Shiva oder Vishnu geschändet.
Es spielte keine Rolle mehr, wer angefangen hatte. Jedenfalls tobten die gewalttätigen Straßenschlachten seit einigen Tagen. Es hatte Tote gegeben, außerdem zahllose Verletzte. Auch bei der Polizei, die sich immer wieder zwischen die Fanatiker stellte.
Und das war der Grund, warum Asha Devi die vergangene Nacht nicht in ihrer kleinen Wohnung, sondern in dieser Polizeikaserne verbracht hatte Sie diente normalerweise bei der India Demon Police, wo sie schwarz -blütige Unholde, böse Geister und Ähnliches bekämpfte.
Doch wegen der Ausschreitungen war die Inspectorin vorübergehend zu ihrer alten Einheit, zur Riot Police, zurückversetzt worden.
Da war es einfacher, direkt in der Kaserne zu schlafen. Die Gewalttätigkeiten hatten das tagtägliche Verkehrschaos von New Delhi noch verstärkt - falls das überhaupt möglich war.
Nach der Dusche schlüpfte Asha Devi in die übliche erdfarbene Polizeiuniform. Ihre langen Haare steckte sie zu einem strengen Knoten im Nacken zusammen.
In der Kantine schlang sie schnell einen Reiskuchen herunter. Angewidert betrachtete sie den Tee in ihrem Becher.
»Diese lauwarme Katzenpisse nennst du Tee?«, raunzte die Inspectorin das Kantinen-Faktotum an.
»Verzeihung, Madam. Kommt nicht wieder vor, Madam. Ich mache Ihnen frischen!«
Dienernd entfernte sich der Angestellte. Wie alle anderen Polizisten und Zivilpersonen in der Kaserne wusste er, dass mit Asha Devi nicht gut Kirschen essen war.
»Ich habe jetzt keine Zeit mehr!«, blaffte die Offizierin. »Aber wenn wir vom Einsatz zurückkommen, dann will ich einen anständigen Tee, kapiert?«
Asha Devi stiefelte hinaus. In der Rüstkammer ließ sie sich einen Helm geben. Außer ihrer normalen Dienstpistole war sie mit dem üblichen langen Holzstock der indischen Polizei bewaffnet.
Ihre tibetische Gebetsmühle hatte sie zu Hause gelassen. Gegen menschlichen Fanatismus und religiöse Intoleranz half diese weißmagische Waffe leider nicht.
Die Mannschaftstransporter mit den vergitterten Fenstern warteten bereits mit laufenden Motoren.
Asha Devi trat auf den Hof und salutierte vor Captain Aruna, der an diesem Tag den Einsatz leitete.
»Guten Morgen, Inspector. Wir verstärken die Einsatzkräfte in der Altstadt. Dort kommt es seit einer Stunde wieder zu schweren Zusammenstößen.« Er nickte ihr zu. »Sie befehligen einen Greiftrupp. Ich will die Rädelsführer dieser Revolte, haben wir uns verstanden?«
»Jawohl, Sir!«, gellte Asha Devis Stimme. Das war eine Aufgabe nach ihrem Geschmack. Die Inspectorin war stolz darauf, beruflich noch niemals versagt zu haben.
Das konnte sie sich auch nicht leisten. Asha Devi war immerhin ein Liebling der Götter. Diese hielten ihre mächtigen Hände über sie. Aber der göttliche Schutz war für Asha Devi auch gleichzeitig eine Selbstverpflichtung, niemals einen Fehler begehen zu dürfen.
»Ich vertraue Ihren Fähigkeiten, Asha«, sagte der Captain. Dann gab er den Befehl:
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