0737 - Kreaturen der Finsternis
malte Figuren an die leicht beschlagene Scheibe. »Es spielt doch keine Rolle, wie sie heißen. Wichtig ist doch nur, daß es sie gibt.«
»Da haben Sie recht. Ich frage mich nur, wie Sie ausgerechnet auf ihn gekommen sind?«
»Eigentlich Zufall. Ich habe ihn gesehen, in sein zweites Gesicht geschaut, als ich mit der U-Bahn fuhr. Ich war unterwegs, um sie aufzustöbern. Als ich ihn dann entdeckte, hielt ich ihn unter Beobachtung. Ich fand heraus, daß er jeden Tag dieselbe Strecke fährt.«
»Und wo endet sie?«
»Heathrow Airport.«
Er hatte den Namen so seltsam betont, und ich wurde aufmerksam und schaute ihn scharf an. »Hat das etwas zu bedeuten?«
»Das glaube ich schon.«
»Erklären Sie es mir, Jiri.«
»Die Kreaturen der Finsternis sind schlimm. Sie weiden sich an den Qualen der Menschen. Für sie ist es wunderbar, wenn andere sterben. Sie können dabei zuschauen und sich freuen. Ich glaube sogar, daß sie aus dem Tod der Menschen ihre Energie ziehen, aber da bin ich mir nicht sicher. So könnte es jedenfalls sein. Ich weiß noch mehr. Ich glaube, daß sie selbst an gewissen Unglücken zumindest eine Mitschuld tragen. Sie organisieren sie, sie sorgen dafür, daß es brennt, daß es Explosionen gibt, daß Menschen zu Schaden kommen, daß diese armen Geschöpfe weder ein noch aus wissen. Dann sind sie dabei und schauen zu. Dann ergötzen sie sich daran.«
»Stimmt das?« flüsterte ich.
Jiri hob die Schultern. »Ich gehe davon aus. Ja, ich meine das genauso. Ich habe noch keine Beweise, keine hundertprozentigen, aber ich habe erlebt, daß sie sich dort ballen, wo das Grauen explodiert, wo Menschen sterben.«
»Wo war das denn?«
»Bei einem Brand in Manchester. Ich habe sie auf den Motorways gesehen, wo es schreckliche Unfälle gab. Ich habe sie immer wieder entdecken können, aber ich habe es leider nicht geschafft, sie zu vernichten. Ich mußte einsehen, daß ich zu schwach gewesen bin. Deshalb habe ich mich an Sie gewandt, Mr. Sinclair. Von Ihnen weiß ich, daß Sie stark genug sind. Und zu zweit werden wir noch stärker sein. Vorausgesetzt, Sie nehmen die Hand, die ich Ihnen reiche.«
»Das wird nicht einfach sein.«
»Ich weiß es alles. Wir werden auch Rückschläge erleben müssen, aber ich muß sie finden.«
»Dann wollen Sie mit mir durch die Welt reisen und schauen, wo wir sie finden können?«
»Es würde unser Leben völlig ändern. Das gebe ich zu. Wir könnten immer unterwegs sein.«
Ich verzog säuerlich die Lippen. »Das ist ja alles gut und schön, das sehe ich auch ein, aber Sie vergessen, daß es mir unmöglich ist, so zu leben. Ich habe hier meine Arbeit, meinen Job, ich kann nicht bei Ihnen bleiben und so etwas wie einen Leibwächter spielen.«
»Ja«, murmelte er, »ja, das habe ich auch schon befürchtet. Das… das ist einfach schrecklich.«
»Sehen Sie.«
»Aber wir müssen etwas tun, Mr. Sinclair. Wir können das nicht hinnehmen und die Welt allmählich in den Untergang treiben lassen. Sie haben gehört, was mir damals widerfuhr. Mir geht es schlechter als Ihnen. Wahrscheinlich werde ich noch als Mörder meiner Eltern und dieses Mannes gesucht. Ich bin der Polizei nach Möglichkeit immer aus dem Weg gegangen.«
Er starrte mich an. »Glauben Sie mir denn?«
»Ja, ich glaube Ihnen.«
»Danke.« Es klang ehrlich.
»Sie wissen auch nicht, was mit Ihren Eltern anschließend geschah, wo man sie begraben hat…«
»Nein. Wir wohnten ja in Cornwall. Die Landschaft hat mein Vater so toll gefunden, aber das liegt jetzt drei Jahre zurück. In diesen drei Jahren habe ich mich durchs Land geschlagen, von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, und ich habe gelernt, auch mit wenigem auszukommen.«
»Wie haben Sie denn Ihren Lebensunterhalt bestritten?« wollte ich wissen.
»Durch Gelegenheitsarbeiten«, murmelte er. »Wenn man die Arbeit nicht scheut, kann man durchkommen. Außerdem bin ich sehr bescheiden. Ich wohne hier in London in einer Jugendherberge.«
»Haben Sie dort auch Kreaturen gesehen?«
Jiri erschrak. »Zum Glück nicht, Mr. Sinclair.«
Der Mann war ein Problem, seine Taten waren Probleme, aber war er deshalb auch ein Mörder? Ja und nein!
Er hatte eine Person getötet, die äußerlich ein Mensch gewesen war. Im Innern jedoch eine dämonische Kreatur, ein Monstrum, dem es einzig und allein darauf ankam, Grauen zu verbreiten und sich an den Ängsten der Menschen zu weiden.
Das wußte ich, das wußte auch Jiri Sabka. Aber konnte ich das meinen Kollegen
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