0739 - Teufelsträume
neue Zukunft. Das war es, was sie wollte, was auf sie niederfiel, und sie freute sich darauf wie ein Schneekönig. Bald würde alles anders sein, dann würde sie daran teilhaben. Sie würde ein Stück dieser anderen Welt und anderen Kraft werden, um Macht zu erringen. Sie war die Ausgesuchte.
Rita bewegte sich wieder.
Die Kälte zog sich nach wie vor wie ein eiserner Ring um sie zusammen, aber sie spürte die tiefen Temperaturen nicht mehr. Die äußeren Gegebenheiten spielten keine Rolle mehr. Alles war so einfach, so wunderbar, jetzt dachte sie daran, daß sie von einer herrlichen Wärme erfüllt war, die sie davontrug.
Rita »schwebte« über dem Boden. Fand mit traumwandlerischer Sicherheit gewisse Lücken, ohne vom Geäst aufgehalten zu werden. Alles klappte so leicht und wunderbar. Es war hervorragend. Es ging alles glatt, sie jubelte innerlich. Auf ihrem Gesicht ging die Sonne auf, als wollte sie gegen die Kälte ankämpfen.
Unter ihren Sohlen zerbrach die Eiskruste mit knirschenden Geräuschen. Für Rita ein Klang wie Musik, der sie auch auf den letzten Schritten begleitete, um zu einem furiosen Finale anzusetzen, als sie vor dem Ort stand.
Sie war da.
Rita konnte es kaum fassen. Die letzten Sekunden waren verstrichen, ohne daß sie daran eine Erinnerung gehabt hätte. Es war, als hätte sie in eine große Wundertüte gefaßt und alles aus ihr hervorgeholt, was bisher noch verborgen gewesen war.
Ein herrliches Erlebnis. Etwas, daß sie nie zuvor gespürt hatte, überspülte sie wie eine gewaltige Woge. Himmel und Erde öffneten sich ihr. Sie riß den Mund auf und atmete- tief, als wollte sie alles, was sich in dieser Umgebung befand, verinnerlichen.
Geschafft!
Es war die Lichtung, die sie auch vom Sommer her kannte. Vor sich sah Rita die Treppe. Waren die breiten und nicht sehr hohen Stufen früher von einer dünnen Moos- und Pflanzenschicht bedeckt gewesen, so war diese im Winter vom grauen Eis abgelöst worden, das sich in unterschiedlicher Dicke dort verteilte.
Wunder blühten vor ihr auf.
Rita schaute auf die beiden Säulen der Ruine. Sie wuchtete sich aus dem schneebedeckten Boden in die Höhe. Zwei Arme, zwei starke Halter, wie sie nur der Götze hervorbringen konnte. Dies hier war der Ort des Unheils, wenn man ihn mit menschlichen Augen betrachtete.
Für sie nicht mehr.
Hier lebte er, hier hatte er gehaust, hier hatte er seine Fäden gezogen.
Er war da!
Er war überall. Er steckte im Schnee, er verbarg sich im alten Mauerwerk, er hatte seinen Ort in den Bäumen gefunden, aber er zeigte sich nicht. Er war nur zu spüren.
Sein Geist, nur sein Geist.
Das andere war zurückgeblieben, es lauerte im Ort, doch der Geist und mit ihm die Magie hüllten alles ein, und es kribbelte auf ihrer Haut trotz der dicken Kleidung, die sie trug.
Hier war der Endpunkt. Hier konnte gestorben oder neues Leben empfangen werden.
Rita wußte, daß sie nicht stehenbleiben durfte. Sie mußte einen bestimmten Ort erreichen, um ihn voll aufnehmen zu können. Sie wollte ihn spüren wie eine Dusche.
Sehr vorsichtig schritt sie weiter. Ihr Ziel war die Lücke zwischen den beiden Bäumen, wo sie mit ihrem Menschsein abschließen wollte, um zu einer Kreatur der Finsternis zu werden.
Anders ging es nicht. Sie mußte sich dem großen Herrn und Meister hingeben. Er konnte sich nicht allein mehr auf den Götzen verlassen. Der große Luzifer brauchte andere Helfer, und da kam sie ihm gerade recht. Man hatte ihm einiges genommen, die Kreaturen der Finsternis waren von den beiden Polizisten brutal ausgelöscht worden. Ein Zurück war einfach nicht mehr möglich.
Es mußte der neue Weg gegangen werden.
Noch eine Stufe.
Sie blieb stehen.
Ihr Platz befand sich genau zwischen den Säulen. Hier würde es passieren, hier würde sie sich verwandeln und als andere zurückkehren, um furchtbare Rache zu nehmen.
Jiri war tot.
Plötzlich lachte sie darüber. Es schallte hinein in den Wald gegen die froststarren Zweige und Äste.
Es hörte sich an, als würden Hunderte von bleichen Knochen gegeneinander klappern.
Jiri war vergessen. Sollte er verrotten, sollte er von Würmern, Maden und Käfern zerfressen werden.
Sollte ihm das Fleisch von den Knochen fallen und sollte sein bleiches Skelett schließlich zu Staub zerfallen. Das alles wünschte sie ihm, und Rita war sicher, daß es so eintreten würde, denn hinter ihr stand die stärkste Macht, die sie sich nur vorstellen konnte.
Rita Thornball war nicht mehr eine normale
Weitere Kostenlose Bücher