0740 - Das Blutgespenst
eingeliefert.«
»Die alte Dame hat den Mord gesehen?«
»Das nicht. Wahrscheinlich nicht mal die Leiche. Aber allein die Nachricht hat sie umgeworfen.«
Unterdessen unterhielt sich Zamorra mit der Großmutter. Er gewann ihr Vertrauen und entlockte ihr Einzelheiten über ihren Albtraum. Über das, was in Montecastrilli geschehen war, wusste sie so gut wie gar nichts. Sie wollte nur wissen, warum ihre Enkelin sie heute noch nicht besucht hatte.
»Regina Tagilo«, sagte sie. »Sie ist in ein anderes Haus umgezogen.« Sie nannte auch die Adresse, und Zamorra notierte sie sich vorsichtshalber.
Dann zog er eine handtellergroße Silberscheibe an einer Halskette unter seinem Hemd hervor.
»Was ist das? Was tun Sie da, Professore?«, fragte die alte Dame.
»Ich versuche herauszufinden, was hier geschehen ist«, sagte Zamorra und löste das Amulett von der Kette. Er war froh, dass Nicole den Arzt mit nach draußen genommen hatte. So konnte er hier ungestört agieren. Er aktivierte mit einem Gedankenbefehl die Zeitschau -Funktion des Amuletts und versetzte sich in die dafür nötige Halbtrance. Dann lenkte er die Zeitschau in die Vergangenheit zurück.
Es war jetzt später Nachmittag, das Ereignis lag vermutlich kaum mehr als 15 oder 16 Stunden zurück. Es würde ihn eine Menge innerer Kraft kosten, aber die Erschöpfungsgrenze lag bei etwa 24 Stunden, was darüber hinausging, konnte tödlich sein. Zamorra hoffte, dass sein Einsatz sich lohnte und er etwas sah, das in diesem Zimmer passiert war und nicht nur den Albtraum der Patientin ausgelöst hatte, sondern auch für die optischen Effekte verantwortlich war, die die Nachtschwester gesehen hatte.
»Was machen Sie?«, hörte er die alte Dame fragen.
Aber er konnte nicht darauf eingehen. Das Amulett hatte sich verändert. Der stilisierte Drudenfuß in der Mitte der Silberscheibe war zu einem Mini-Bildschirm geworden, auf dem ein rückwärts laufender Film gezeigt zu werden schien. Zugleich wurden die Bilder in Zamorras Bewusstsein projiziert. Er sah sie und irgendwie darin wie einen Schatten auch die reale Jetzt-Zeit-Umgebung, die aber weit im Hintergrund blieb.
Weiter und weiter ging es in die Vergangenheit, in rasendem Zeitraffertempo. Zamorra spürte bereits die ersten Schwächeerscheinungen. Der magische Vorgang entzog ihm eine Menge Kraft.
Wie rasende Schatten sah er Personen durch das Zimmer huschen -Pflegepersonal. Dann kam die Nacht. Zamorra reduzierte das Tempo des Rückwärtslaufs. Und schließlich war er an seinem Ziel. Er schoss kurz darüber hinaus, um dann im »Vorlauf«, in normalem Tempo zu sehen, was geschah.
Da war ein seltsamer Nebel, der zum Fenster hereinkam…
Und dann explodierte die Welt.
***
Ted Ewigk stoppte vor dem Pfarrhaus neben der Kirche.
»Kein Halteverbotschild«, stellte er zufrieden fest, und es gab auch keine gelbe Linie am Straßenrand, die ebenfalls Halteverbot signalisiert hätte. »Hoffentlich ist Monsignore überhaupt zu Hause.«
Der Geistliche war anwesend. Er bat die beiden Besucher auf einen Kaffee und ein Glas Wein herein.
»Ich habe natürlich von dem Mord gehört«, sagte er. »Und ich kann mir nicht vorstellen, wie es geschehen ist. Keine Verletzung, und dennoch ausgeblutet…«
»Und in der Nacht zuvor ein Albtraum und bei einer anderen Person die Vision dessen, was sich 24 Stunden später abspielte«, fügte Gino di Cittavecchio hinzu. »Gibt es da in der Chronik dieses Ortes Vergleichbares, parroco ?«
Der Pfarrer runzelte die Stirn. »Das klingt wie in einem Gruselfilm-Klischee«, sagte er. »Etwas Unheimliches, Unerklärliches geschieht, und ein paar Helden vermuten höllischen Spuk und wollen in der Kirchenchronik historische Übereinstimmungen suchen. Signori, für solche Späße bin ich nicht zu haben.«
»Das ist kein Spaß«, sagte Ted Ewigk. »Und es ist kein Gruselklischee. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns die Chronik zugänglich machen würden.«
»Das sagen die Leute in diesen schrecklichen Filmen auch immer.«
Ted verdrehte die Augen. »Lieber Gott, gib mir Geduld, aber schnell«, murmelte er und sah dann den Geistlichen an. »Gibt es außer Ihrer Beurteilung einschlägiger Filme einen einzigen triftigen Grund, uns die Einsicht in die Chronik zu verwehren?«
»Leider nicht wirklich.«
»Grazie, parroco«, sagte Gino und erhob sich. »Dann wollen wir doch gleich mal, wenn's recht ist.«
»Es ist zwar nicht recht, aber da Sie drängen… Folgen Sie mir bitte.«
Und dann lag das
Weitere Kostenlose Bücher