0740 - Das Blutgespenst
»Sie möchten bitte zur Station raufkommen. Wo die ist, wissen Sie?«
Zamorra nickte und ging in Richtung Lift. Nicole folgte ihm, wurde aber sofort aufgehalten. Sie maß den Mann mit einem ungnädigen Blick. »Wenn Sie mich nicht sofort meinem Chef folgen lassen, erleben Sie gleich Ihren ganz persönlichen dritten Weltkrieg«, kündigte sie unheilvoll an.
Und durfte passieren.
»Nicht zu fassen«, sagte sie, als der Lift sie beide nach oben trug. »Der Junge fühlt sich wohl ganz besonders wichtig. Wenn's wenigstens ein Polizist gewesen wäre…«
Die Liftkabine spie sie aus. Auf dem Korridor diskutierte Maligore mit einem Mann in Zivilkleidung. Ein Carabiniere stand vor einer Zimmertür… vor der Zimmertür…
»Merde«, murmelte Zamorra. »Die alte Dame hat's erwischt.«
Dr. Maligore löste sich aus dem Gespräch, begrüßte Zamorra und Nicole etwas säuerlich und stellte die Parteien einander vor. Der Mann im zerknitterten Anzug war Kommissar Vuole. Man hatte ihn aus dem Bett geholt, und er war ebenso unrasiert wie ungehalten. »Komm, das musst du dir anschauen, Zamorra«, sagte Maligore, »ehe die Typen von der Spurensicherung alle Spuren verwischen und vernichten.« Er zog Zamorra einfach mit sich zum Einzelzimmer.
»Moment mal«, bellte Vuole. »Sie können da jetzt nicht einfach rein…«
»In dieser Klinik übe ich das Hausrecht aus, Comisario. Und wenn Sie noch einmal so laut werden und die anderen Patienten aufwecken, sind Sie der Erste, der rausfliegt, und es ist mir dabei völlig egal, ob Sie der Ermittlungsleiter sind oder anschließend Ihr Staatsanwalt vergeblich versucht, mir auf die Füße zu treten.« Und schon hatte er die Tür geöffnet und stieß sie einem Mann von der Spurensicherung ins Kreuz, der in aller Gemütsruhe seine Pausenzigarette rauchte.
Maligore, der so gern lächelte, war plötzlich nur noch ein Zornpaket, schlug dem Mann die brennende Zigarette aus der Hand und schob ihn blitzschnell an Zamorra vorbei aus dem Zimmer.
»Hausverbot«, zischte er dem Beamten zu. »In dieser Klinik herrscht Rauchverbot. Die Schilder sind überall. Und Sie lassen sich hier nie wieder blicken, höchstens noch als Patient! - Schwester, rufen Sie Vittorio und Emmanuele, damit sie diesen Herrn nach draußen geleiten!«
Vuole drängte sich vor. »Was maßen Sie sich an, Dottore?«
»Ich übe das Hausrecht aus, wie ich eben schon sagte. Wenn Ihre Leute gegen die Regeln verstoßen, will ich sie hier nicht sehen. Sie können ja eine Beschwerdeschrift einreichen.«
»Ich kann Sie festnehmen wegen Behinderung der Ermittlungen.«
Gerade tauchten zwei Pfleger auf. Das mussten Vittorio und Emmanuele sein. Sie schienen ausschließlich aus Muskeln zu bestehen.
Maligore -wies auf den Kommissar. »In die Intensivstation und unter Quarantäne, sofort!«, ordnete er an. »Seuchenverdacht!«
Die beiden Muskelmänner marschierten auf Vuole zu, der blass wurde. »Das… das können Sie nicht machen!«, keuchte er. »Das ist Freiheitsberaubung !«
»Ihr Vorhaben, mich festzunehmen, auch! Ich hindere niemanden an der Ermittlungsarbeit, solange er sich an die Spielregeln hält. Alles klar, Comisario?« Mit einer Handbewegung stoppte er die beiden Pfleger.
»Das wird ein Nachspiel haben, Dottore«, fauchte Vuole.
»Meinetwegen. Sie sind überreizt und müde. Ich auch. Gestern die Nachtschicht, heute, und dazwischen auch noch einen halben Tag normalen Dienst. Wenn wir uns gegenseitig in Ruhe lassen, können wir prächtig miteinander umgehen, aber der Knabe da fliegt.« Er wies auf den Raucher.
Zamorra und Nicole verfolgten den Disput nur mit halbem Ohr und sahen sich stattdessen im Zimmer der alten Frau um. Überall war Blut - auf dem Bett, auf dem Fußboden, an den Wänden. Es sah so aus, wie Ted das Zimmer von Tina Maggiore geschildert hatte. Ein weiterer Spurensicherer lehnte etwas blass am Fenster, das auf Kipp stand. An sich waren die Leute mit ihrer Arbeit bereits fertig.
Zamorra trat an das Bett und zog das Laken zurück, das jemand über den Kopf der Toten gebreitet hatte.
Er erschauerte, deckte den Leichnam wieder ab und trat zurück.
»So schlimm?«, fragte Nicole leise.
Zamorra nickte stumm.
Maligore kam wieder herein. »Die Nachtschwester schaute routinemäßig herein, vor etwas über einer Stunde. War kurz nach Mitternacht. Da lag die Patientin bereits tot da.«
Zamorra sah Nicole an.
»Wenn dieses Blutgespenst hier zugeschlagen hat«, sagte er, »wird Ted in Montecastrilli wohl
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