0745 - Angst über Altenberg
Wir wurden gefragt, ob wir jemand für das Gepäck brauchten. Das war nicht nötig. Dafür erschien ein anderes junges Mädchen - in seiner weißen Bluse und dem schwarzen Rock sehr adrett gekleidet, lächelte uns an und bat uns, ihm zu folgen. Wir mußten die Treppe hochgehen.
Ich warf einen Blick auf den Jungen. Er schaute auf die Stufen und sah verbissen aus. Wahrscheinlich quälten ihn Erinnerungen an die Zeit, die er hier in der Nähe verbracht hatte. Und das waren sicherlich nicht immer die besten.
Unser Zimmer lag im zweiten Stock. Der Blick von dort fiel auf die Rückseite des Hotels und damit auch gegen einen Berghang, an dem sich die Wurzeln der alten Bäume festkrallten und sich tief in das Erdreich vergraben hatten.
Ich gab der Kleinen ein Trinkgeld, während Elohim schon die Dusche inspizierte.
»Kann ich mich duschen?« fragte er.
»Sicher. Ich muß sowieso telefonieren.«
Er nahm seine Tasche mit und schloß die Tür. Ich öffnete das Fenster und ließ die frische Luft in den Raum. Der Himmel war wolkig, und die Helligkeit des Tages war schon dabei, sich zurückzuziehen, um der Dämmerung Platz zu schaffen.
Ich setzte mich auf das Bett und griff zum Telefonhörer. Es war durchaus möglich, daß ich meinen Freund und Partner Suko im Büro erreichte, deshalb rief ich dort zuerst an.
Er hob nicht ab, sondern Glenda, die sich freute, meine Stimme zu hören, und wissen wollte, wie es mir ging.
»Im Moment recht gut.«
»Und der Schock wegen Jessica Long?«
»Sitzt noch tief.«
»Das kann ich mir vorstellen.« In ihrer Stimme schwang echtes Bedauern mit. »Willst du Sir James oder Suko sprechen?«
»Gib mir Suko.«
»Der ist bei ihm.«
»Dann stell' mich durch.«
»Sie reden übrigens über den Fall. Aus der Schweiz ist ein langes Telexfax gekommen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Die Jungs dort haben leicht durchgedreht. Da war von der Schweizer Gemütlichkeit nichts mehr zu spüren.«
»Bis später dann. Ach ja, wo steckst du eigentlich?«
Da Glenda ihre Neugier kaum bezähmen konnte, verriet ich es ihr. »Mich hat es nach Germany verschlagen.« Sie konnte es kaum fassen.
Mein Arbeitsplatz wurde nun mal immer mehr Europa und manchmal auch die ganze Welt.
Schon bald hörte ich die Stimme meines Chefs. Sie klang seltsam, was nicht an der Leitung lag, sondern an der Laune des Sprechers. Die war auf den Tiefpunkt gesunken und hing wahrscheinlich mit meiner Existenz zusammen.
»Was haben Sie mir nur eingebrockt, John!« stöhnte er.
»Wie meinen Sie das, Sir?«
»Die Schweizer sind nicht nur verärgert, sondern auch sauer. Sie fühlen sich hinters Licht geführt. Was da in Pontresina geschehen ist, scheint sehr außerhalb der Normen zu stehen.«
»Es war nicht eben eine Freude.«
»Ich las die Faxe und Berichte. Sie scheinen da mit beiden Händen einen magischen Schlamm aufgewühlt zu haben. Außerdem werden Sie noch einige Erklärungen über den Tod der Franca Simonis abgeben müssen. Sie hat ja für eine bestimmte Gruppe gearbeitet.«
»Im Endeffekt für den Vatikan«, sagte ich, »aber das ist nicht das Thema, Sir.«
»Wie heißt es dann?«
»Elohim.«
»Was ist mit dem Jungen?«
»Es wird noch etwas dauern, bis wir in London eintreffen. Ich sitze hier in einem Hotelzimmer und telefoniere, und das hat auch seinen Grund.« In Stichworten klärte ich meinen Chef über das Vorhaben auf, der sich anschließend nicht begeistert zeigte, daß ich noch blieb.
»Wir brauchen Sie zwar nicht unbedingt«, sagte er, »aber hier könnten Sie sich auch mit dem Jungen beschäftigen. Wo soll der überhaupt hin?«
»Das weiß ich noch nicht.« Darüber hatte ich mir Gedanken gemacht, aber sein Verhalten im Zug hatte mich doch stutzig werden lassen. »Jedenfalls muß ich ihn unter Kontrolle halten, Sir. Ihn umgibt ein Geheimnis. Es muß in einem unmittelbaren Zusammenhang zu dem Ort stehen, in dem ich mich aufhalte. Hier ist er groß geworden, und zwar ohne Eltern. Ich aber möchte seinen Hintergrund erfahren. Wie ich Ihnen berichtete, ist Elohim eine gespaltene Persönlichkeit. In seiner Brust leben zwei Seelen, um es einmal populär auszudrücken. Darüber habe ich natürlich nachgedacht und bin zu dem Entschluß gekommen, daß sein Zustand mit seinen Eltern zusammenhängen muß. Vielleicht finde ich heraus, wer die beiden eigentlich waren.«
»Brauchen Sie Verstärkung?«
»Zunächst nicht.«
»Okay, John, dann tun Sie bitte, was Sie können. Ich werde Ihnen jedenfalls den Daumen
Weitere Kostenlose Bücher